Das grosse Smartphone-Rennen ist eröffnet

Sechs Plattformen buhlen um die Gunst der Handykäufer, doch nicht alle sind gleich gut aufgestellt.

Von Matthias Schüssler

Apple hat seinem Mobiltelefon eine eigene Kategorie geschaffen: die iPhone-Klasse. Sie zeichnet sich durch ein grosses, scharfes Display aus, das auf Berührungen reagiert und die Steuerung mit Gesten erlaubt. Feste Bestandteile sind zudem ein App-Store sowie der unverzichtbare mobile Internetzugang.

Für viele junge Nutzer ersetzt das Smartphone heute schon den PC. Es erfüllt sämtliche kommunikativen Bedürfnisse, bietet Spiel und Spass und erledigt sogar einfache Office-Aufgaben. Der teure, sperrige und komplizierte Personal Computer wird entbehrlich. Er stirbt deshalb nicht aus, erleidet aber einen einschneidenden Bedeutungsverlust. Er wird wieder vornehmlich in Büros anzutreffen sein. In Privathaushalten wird es ihn immer weniger brauchen – abgesehen von Nerd-Domizilen, wo maximale Power gefragt bleibt.

Allrounder für den Digi-Alltag

Geräte der iPhone-Klasse dürften in den nächsten Jahren für weitere Anwenderkreise zum exklusiven Allrounder für den digitalen Alltag werden. Besonders verlockend: Mit den Cloud-Anwendungen aus dem Web spart man sich den Aufwand für Konfiguration, Updates und Dokumentenmanagement fast gänzlich. Die Zukunft ist mobil, und bald schon entscheidet sich, auf welcher Plattform sie stattfindet. Sechs Anwärter sind im Rennen um die künftige Vorherrschaft im Reich der Kommunikationstechnologie. Welche Anwender auf welches Pferd setzen sollen, lässt sich nicht mehr so eindeutig und leicht unterscheiden wie noch vor nicht allzu langer Zeit. Funktionsumfang und Design gleichen sich an.

Doch längst nicht alle Aspiranten haben in der Ausmarchung die gleichen Erfolgsaussichten. Gut aufgestellt sind die technologisch breit abgestützten Unternehmen, die auf viele Schlüsseltechnologien zurückgreifen oder viele Entwicklerreserven mobilisieren können: Microsoft, Apple und Google. RIM zählt trotz guter Verkaufszahlen zu den Aussenseitern, weil in diesem Rennen die Erfahrung in der Geschäftswelt sowie die Sicherheit wenig zählen. Nokia hat eine zu diffuse Strategie, indem die Finnen neben Symbian auch das auf Linux basierende MeeGo-Betriebssystem pflegen. Und Apples grösster Trumpf, sämtliche Rädchen perfekt aufeinander abzustimmen, wird weiterhin stechen.

Blackberry von RIM Symbian von Nokia Web OS von Palm/HP Android von Google Windows Phone 7 iPhone von Apple
Merkmale: Beliebt für seine Sicherheit und wegen des Push-Mail (neue Mails werden wie SMS sofort empfangen). Die neue Betriebssystem-Version Blackberry OS 6 integriert Facebook und Twitter, hat Gestensteuerung und einen Homescreen. Die Symbian-Plattform hat weltweit die grösste Verbreitung. Ihre Vorläufer reichen ins Jahr 1989 zurück. Seit Sommer 2010 ist sie quelloffen. «Symbian^3» («Symbian three») gibt HD-Video an TV-Geräte aus. Web OS ist eine auf Linux basierende Neuentwicklung, die 2009 Palm-OS ablöste. Nebst Multitasking ist «Synergy» ein zentrales Merkmal: Daten werden drahtlos mit Google-Mail, Facebook und anderen Diensten abgeglichen. Neu ist die schnelle Suchfunktion «Just Type». Android ist die Nummer zwei hinter Symbian. Das auf Linux basierende System der Open Handset Alliance hat den Marktanteil von 3,5 Prozent 2009 auf 25,5 Prozent erhöht. Android läuft auf rund 150 Smartphones, aber auch auf Settopboxen und anderen Geräten. Windows Phone 7 löste Ende Oktober 2010 das veraltete Mobile-Betriebssystem ab. Microsoft hat bewährte Konzepte adaptiert, aber auch eigenständige Ideen umgesetzt. Es sind ein Dutzend Modelle von HTC, Samsung, LG und Dell verfügbar. Das iPhone ist seit 2007 in den USA und seit Juli 2008 in der Schweiz erhältlich und wurde weltweit 73 Millionen Mal verkauft. 2007 war es «Gerät des Jahres» des Nachrichtenmagazins «Time».
Als Tablet erhältlich? Ja, das PlayBook soll ab 2011 erhältlich sein. Tablets sind denkbar, existieren bislang aber nicht. HP hat Tablets für Anfang 2011 in Aussicht gestellt. Offiziell ist Android noch nicht für Tablets geeignet, dennoch ist das Galaxy Tab erhältlich. Es sind keine Phone-7-Tablets angekündigt. Das Betriebssystem iOS läuft auch auf dem seit Mai 2010 erhältlichen iPad.
Online-App-Store? In RIMs «App World» sind mehr als 10’000 Apps vertreten, auch Schweizer Apps wie der SBBFahrplan und das Telefonbuch. Es gibt im Ovi-Store rund 20’000 Apps, davon 200 Schweizer Apps. Einkäufe über den Ovi-Store können via Mobilfunkrechnung bezahlt werden. Der HP-App-Katalog umfasst rund 5400 Apps. «Homebrew Apps» existieren als Alternative zum offiziellen Store. Schweizer Apps gibt es nur vereinzelt. Im Android Marketplace sind 100’000 Apps zu finden, darunter mehrere Dutzend Schweizer Apps. Bereits sind rund 2000 Apps im Marketplace zu finden. Ausserdem gibt es 13’000 registrierte Entwickler. Im App Store sind 350’000 Apps veröffentlicht worden. Knapp 300’000 sind derzeit erhältlich.
Ausgangslage: RIM muss für Privatanwender attraktiv werden, weil die Stammkäuferschaft, die Geschäftsleute, immer öfter zu einem iPhone oder Android-Handy greift. Ob der Spagat gelingt, ist offen. Als firmenübergreifendes Konsortium gestartet, ist nur noch Nokia an Bord. Samsung und Sony Ericsson sind im September 2010 abgesprungen. Viele Experten sehen die Zukunft von Symbian bei (limitierten) Feature-Phones. Wegen technischer Mängel und Vermarktungsproblemen fiel der Palm Pre 2009 als erstes Web-OS-Gerät durch. Im April 2010 hat HP Palm übernommen, und dieser Tage erscheint in Europa der Palm Pre 2 mit ungewissen Erfolgsaussichten. Eine riesige Auswahl an Geräten in allen Preisklassen prädestiniert Android zur Nummer eins. Ein Nachteil ist die uneinheitliche Bedienung, verursacht durch die Anpassungen der Hardware- Hersteller und Mobilfunkbetreiber. Ferner sind Urheberrechtsfragen ungeklärt. Microsoft positioniert Phone  als Smartphone für Leute, die einen Bogen um Smartphones gemacht haben. Microsoft hat dank der aufgeräumten Bedienung, Integration von Facebook, Xing und LinkedIn und mit der Anbindung an die Xbox-Spielkonsole eine reelle Chance auf Platz drei hinter Android und Apple. Apple ist bei den Stückzahlen zwar hinter Android zurückgefallen, ist aber die Referenz im Markt der Smartphones. Minuspunkte sind der hohe Preis, Apples rigide Kontrolle und die Verhinderung unerwünschter Technologien (z. B. Adobe Flash).
Top-Gerät: Blackberry Torch; in der Schweiz demnächst erhältlich. Nokia N8 mit einer Navigationslösung, bei der das Kartenmaterial auf dem Telefon gespeichert ist. HP Palm Pre 2 (in der Schweiz nicht erhältlich). Das in der Schweiz nicht erhältliche Motorola Droid X gilt als grösster iPhone-Konkurrent. Top-Gerät hier: HTC Desire. In den USA gilt das dünne und leichte Samsung Focus als Top-Gerät. In der Schweiz: LG Optimus 7. Das iPhone 4.

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Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 29. November 2010

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