Ein fast perfekter Neuanfang

Mit Windows Phone 7 bügelt Microsoft alte Fehler aus und schliesst mit dem neuen Handy-Betriebssystem zu Apple und Google auf.

Matthias Schüssler

14 Jahre lang hat Microsoft bei seinem mobilen Betriebssystem stur am Startmenü festgehalten. Die erste Version 1996 hiess Windows CE, lief auf Handheld-Computern und war eine geschrumpfte Kopie von Windows 95, inklusive Taskleiste, Startknopf und -menü. Diese Elemente waren per Stift auf kleinen Bildschirmen unbedienbar. Aber die auf den Wiedererkennungswert pochende Marketingabteilung hatte ihren Willen durchgesetzt.

So schlecht das aus Sicht der Benutzerfreundlichkeit war, Microsoft hat während eines Dutzends von Versionen am Miniatur-Desktop-Windows festgehalten. Bis jetzt. Mit Windows Phone 7 vollzieht Microsoft den überfälligen Bruch mit der Vergangenheit. Allerdings ohne in letzter Konsequenz auch das «Windows» aus der Produktbezeichnung zu streichen. Das wäre angebracht, denn Fenster als Element der Benutzeroberfläche sind beim Neuanfang passé.

Hubs statt Apps

Windows Phone 7 zeigt am Bildschirm des Mobiltelefons die «Metro UI» (UI steht für User-Interface oder deutsch Benutzerschnittstelle). Sie hatte ihren ersten Auftritt beim Musikplayer Zune und beim Windows Media Center, der Software für an den Fernseher angeschlossene Multimedia-Computer. Das Metro UI basiert auf der Idee, dass der Bildschirm des Mobiltelefons immer einen Ausschnitt eines grösseren Ganzen zeigt. Dieses grössere Ganze nennt Microsoft Panorama. Per Multitouch, also durch Wischbewegungen mit dem Zeigfinger am berührungsempfindlichen Display, verschiebt man quasi den sichtbaren Ausschnitt innerhalb des Panoramas.

Das klingt abstrakt, leuchtet bei der Benutzung aber schnell ein. Bei den Kontakten, dem sogenannten People-Hub, besteht das Panorama aus den Spalten «Zuletzt verwendet» mit häufigen Telefonnummern, «Alle» mit dem ganzen Adressbuch und den «Neuigkeiten». Die Spalten wählt man, indem man sich horizontal durchs Panorama bewegt. In der gewünschten Spalte angekommen, scrollt man dann vertikal.

Ein weiteres wichtiges Konzept sind die erwähnten «Hubs». Sie zentralisieren Informationen an einem Ort. Im Bilder-Hub erscheinen nicht nur die Fotos, die man mit der Kamera des Mobiltelefons selbst geschossen hat, sondern auch die Bilder, die Freunde und Bekannte auf Facebook veröffentlichen. Auch die Anwendungen von Drittherstellern sollen sich in die «Hubs» einklinken. Der Nutzer organisiert seine digitalen Inhalte nicht in unterschiedlichen Apps (Anwendungen), sondern nach der Art von Daten und Dokumenten. Ein guter Ansatz, der aber nicht konsequent durchgehalten wird. Hat man beispielsweise ein Google-Mail- und ein Hotmail-Konto, erscheinen die als separate Hubs, nicht als kombinierter Posteingang.

Von Apple gelernt

Auf dem Startbildschirm findet sich für jeden Hub eine Kachel: kleine Kästchen, die man nach eigenem Gusto anordnet, und die teilweise aktuelle Informationen preisgeben: Die Mail-Kachel zeigt, wie viele Nachrichten ungelesen sind, und die Kalender-Kachel liefert eine Ankündigung des nächsten Termins.

Vieles an der Bedienung bei Windows Phone 7 ist bekannt vom iPhone, von Google Android und auch vom Palm Pre. Microsoft hat als spät berufener Multitouch-Telefon-Hersteller die Gelegenheit genutzt, die Konkurrenzmodelle zu studieren und Lehren aus den Erfolgs-rezepten der anderen zu ziehen.

Die Bildschirmtastatur und die Gestenbedienung sind genauso zuverlässig wie beim iPhone. Von Apple gelernt hat Microsoft auch, dass das Betriebssystem aufgeräumt und übersichtlich sein muss. Phone 7 zeigt sich spartanisch. Die Optik lebt von typografischen Elementen, von subtilen Animationseffekten und von wenigen schlichten Symbolen. Im Vergleich wirkt Google Android unfertig und chaotisch.

Ein weiteres Merkmal von Windows Phone 7 ist die Anbindung an soziale Netze und die «Cloud», das heisst, per Internet verfügbare Datenspeicher. Wie praktisch das ist, hat nicht nur Google mit Android vorexerziert, sondern auch Palm mit seinem Smartphone namens «Pre», dem wenig Markterfolg beschieden war. Phone 7 tauscht nicht nur mit Microsofts eigenem Livedienst Daten aus, sondern kooperiert auch mit Facebook und mit Google. Kalender, E-Mail und Kontakte werden per WLAN oder über das Mobilfunknetz abgeglichen – das Anschliessen an den PC und Synchronisieren ist optional. Phone 7 konsolidiert Daten aus verschiedenen Quellen. Eine Person, deren Adresse bei mehreren Diensten erfasst ist – etwa bei Facebook und im Google-Mail-Konto –erscheint nur einmal im Kontakt-Hub. Das tat schon der Palm Pre, und zwar deutlich zuverlässiger. Dafür kümmert sich Phone 7 auch um die Status-Updates von Facebook und zeigt diese im Kontakt-Hub unter «Neuigkeiten» an.

Der Trumpf im Ärmel

Microsoft hat sich nicht nur fremde Stärken zu eigen gemacht, sondern sich auch auf eigene Stärken besonnen. In Phone 7 sind die Erfahrungen vom Zune-Musikplayer eingeflossen. Musik, Filme und Podcasts werden nicht über den angejahrten Windows Media Player verwaltet, sondern via Zune-Software, die eine peppige Oberfläche hat. Sie enthält auch einen Onlineshop für Musik und Videos, und dieser Shop steht nun erstmals auch Kunden in der Schweiz offen. Im Zune-Marktplatz können Filme gekauft oder gemietet werden, wobei man sich entscheiden muss, ob man sie am Computer oder am Mobiltelefon konsumieren will. Die Bezahlung erfolgt in Microsoft-Point. Für die Miete eines Streifens sind rund 240 Points (ca. Fr. 3.80) aufzuwerfen.

Als Fazit ist Microsoft mit Phone 7 ein Produkt gelungen, das mit dem iPhone und Google Android nicht nur mithält, sondern die Konkurrenz in einzelnen Belangen übertrumpft. Mit der Anbindung an Xbox Live, das Online-Netzwerk für die gleichnamige Spielkonsole, hat Microsoft sogar einen Trumpf im Ärmel, bei dem die anderen passen müssen.

Wenig los im Marketplace

Nach Jahren der Stagnation im Mobilbereich ist das ein fulminantes Revival. Es wird von Schönheitsfehlern getrübt. So ist keine Copy-Paste-Funktion vorhanden. Das grösste Manko ist jedoch das mehr als bescheidene App-Angebot im Phone-7-Marketplace. Nur wenn Microsoft bei den Entwicklern punktet, wird Phone 7 gegen das iPhone und Android bestehen können.

Quelle: Der Bund, Dienstag, 26. Oktober 2010

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