Browser gleich Betriebssystem

Mit dem minimalistischen Chrome OS will Google die Netbooks erobern.

Von Matthias Schüssler

Den Betriebssystemen droht der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Eine Prophezeiung, die man seit Jahren hört. Schon 1995 hatte Marc Andreessen, seines Zeichens Erfinder des Netscape-Browsers, einen Abgesang auf Windows angestimmt. Microsofts Betriebssystem werde bald nichts weiter sein als eine «Ansammlung schlechter Gerätetreiber». Der Netscape-Browser ist Windows nicht gefährlich geworden. Doch jetzt startet Google eine Initiative ganz in Andreessens Sinn – ein Browser, der auch ein Betriebssystem ist.

Erste Ankündigungen zum Chrome OS gab es am 7. Juli 2009. Es heisst gleich wie Googles Browser, der seit September 2008 gratis angeboten wird. Ihn hatten manche schon zu Beginnim Verdacht, ein verkapptes Betriebssystem zu sein. Google hatte dem Surfprogramm die Möglichkeit mitgegeben, Websites voneinander abgeschottet zu verwalten. So handhaben es Betriebssysteme mit den Anwendungsprogrammen.

Seit Mitte November steht Chrome OS nun in einer Testversion zum Download. Der Augenschein zeigt, dass das Betriebssystem nicht mehr ist als eben jener Chrome-Browser, der auf einem minimalen Betriebssystem sitzt. Andere Anwendungsprogramme gibt es nicht. Auch keine Systemsteuerung, keine Daten- oder Dokumentenverwaltung. Das Internet ist der Computer.

Ohne Internet läuft gar nichts

Die Anmeldung an Chrome OS erfolgt mit den Zugangsdaten eines Google-Benutzerkontos. Nach dem Login erscheint der Chrome-Browser in Vollbild. Auf der ersten Seite stehen die Google-Dienste – GMail, Youtube, Google Docs sowie Calendar und Books – zur Verfügung. Doch es gibt auch Angebote von Dritten, namentlich Hotmail, Yahoo Mail, das US-amerikanische Videoportal Hulu, der Musikdienst Lala und das Webradio Pandora.

Google Chrome OS soll vor allem auf günstigen Netbooks laufen. Diese müssen dazu jedoch via W-LAN oder per Mobilfunknetz permanent mit demInternet verbunden sein – ohne Webzugang ist Chrome OS nutzlos. Noch nicht einmal eine Anmeldung am System ist möglich. Immerhin verfügt Google mit Gears über eine Technologie,deren Aufgabe es ist, bei fehlenderInternetverbindung Daten zwischenzuspeichern.

Der Preis ist der Trumpf

Mit seiner Ausrichtung auf günstige, kleine Mobilcomputer tritt Chrome OS in Konkurrenz zu Windows 7 Starter Edition, Microsofts Variante für Netbooks. Im direkten Vergleich kann Google Chrome OS Windows 7 nicht das Wasser reichen. Microsofts Betriebssystem ist um Längen leistungsfähiger, und nur es erlaubt den Einsatz von Windows-Programmen. Der grosse Trumpf von Chrome OS ist der Preis. Während die Hersteller für Windows 7 Starter Lizenzgebühren zu entrichten haben, gibt es Chrome OS kostenlos – beziehungsweise sogar «günstiger als gratis».

Diese Formulierung stammt von Blogger Bill Gurley, der sich ausmalt, dass Google die Hardwarehersteller an den Werbeeinnahmen beteiligt, die per Chrome OS generiert werden. In diesem Fall hätte Microsoft mit seinem herkömmlichen Geschäftsmodell einen schweren Stand. Anwender, die sich mehrheitlich im Internet bewegen, kämen auf jeden Fall günstiger weg als mit Windows 7, das auch vergleichsweise leistungsfähige Hardware braucht. Google ist nicht auf Lizenzeinnahmen aus, sondern nur auf die Generierung von Werbeeinnahmen. In deren Dienst steht nicht nur die Websuche, sondern auch all die anderen Dienste und das Betriebssystem. Laut dem «Chrome Blog» entwickeln eine Reihe von Hardware-Herstellern bereits Geräte, darunter Acer, Asus, HP, Lenovo und Toshiba.

Die Zeichen stehen gut für den Suchmaschinengiganten. Nebst dem Chrome OS gewinnt auch Android an Fahrt, Googles System für Mobiltelefone. Es tritt gegen das iPhone, den Blackberry und Palm an, und beim Kampf um die Gunst der Entwickler macht es gegenüber Apple Boden gut.

Eine Fusion der Systeme?

Beide Betriebssysteme haben mit Linux und dem von Apple, Nokia und Google entwickelten Webkit ein gemeinsames Fundament. Daher wird auch schon spekuliert, Google könnte Chrome OS und Android dereinst zusammenführen. So oder so ist sowohl bei den Smartphones als auch bei den Netbooks mit Google zu rechnen.

Google hat bislang nur den Quellcode veröffentlicht. Dennoch kann man Chrome OS ausprobieren, ohne das Betriebssystem selbst zu kompilieren. Im Internet kursieren Festplatten-Images, die sich über virtuelle Maschinen wie VMWare oder das kostenlose Sun VirtualBox (www.virtualbox.org) ausführen lassen. Man kann allerdings auch einfach einen Blick auf den Chrome-Browser werfen, um eine mögliche Zukunft der Betriebssysteme zu erblicken.

Präsentierteller für die Google-Dienste: Startoberfläche von Chrome OS. Screen: TA

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 7. Dezember 2009

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