GPS-Postenlauf in Amsterdam

Ist das GPS-Navigationsgerät ein valabler Ersatz für den guten alten Stadtplan? Eine Stadtwanderung durch Amsterdam auf die neue Art.

Von Matthias Schüssler, Text und Bilder

Touristen erkennt man an jedem Ort der Welt an ihrer Bauchtasche, an der Sonnenbrille, am Fotoapparat – und am Stadtplan. Der könnte allerdings bald dem technischen Fortschritt zum Opfer fallen. In naher Zukunft werden Touristen zur Orientierung kein faltbares Strassenverzeichnis mehr mit sich tragen, sondern einen Empfänger mit digitalem Stadtplan. Das liegt nahe: Längst führt das Global Positioning System (GPS) mit Hilfe von 24 Satelliten Flugzeuge, Schiffe und Autos der gehobenen Klasse ans Ziel – weshalb also nicht Touristen?

Die Navigationsgeräte sind mittlerweile so klein und leicht geworden, dass man sie problemlos herumtragen kann. Aber bewahren sie einen auch bei der Stadtwanderung wirklich vor Irrläufen? Das wollen wir in einem Selbstversuch herausfinden.

Ein schickes Gerät namens Tomtom Go (siehe Tipps) geleitet meine Begleiterin und mich durch Amsterdam. Beide sind wir mit einem eher armseligen Orientierungssinn ausgestattet. Ich für meinen Teil habe das zusätzliche Handicap, von der so genannten Falk-Patentfaltung notorisch überfordert zu sein. Weil das Kartenwerk meist irreparablen Schaden nimmt, wenn ich es zusammenlege, bin ich noch so gern bereit, diese antiquarische Orientierungshilfe gegen das Tomtom einzutauschen. Meine Begleiterin ist ebenfalls offen, ist aber der dezidierten Ansicht, wir müssten zuerst eine Route vorbereiten – ob mit GPS, ob ohne.

Dazu begeben wir uns an den Punkt 4° 53′ 17» östlicher Länge und 52° 22′ 07» nördlicher Breite. Das ist ein Café mit dem Namen Luxembourg, wo Amsterdamer und Touristen in gemütlicher Atmosphäre beieinander sitzen und wo man bei Erbsensuppe oder einer exzellenten Bouillabaisse bestens Pläne schmieden kann.

Im Fussgängermodus zu Rembrandt

Nachdem geklärt ist, dass der Aufenthalt mit Kultur beginnt – schliesslich feiert Amsterdam heuer Rembrandts vierhundertsten Geburtstag –, steht die Bewährungsprobe für das Tomtom an. Der digitale Lotse überrascht uns mit seinem ersten Vorschlag: Er will uns auf einem gigantischen Umweg zur «Nachtwache» und zu den anderen barocken Meisterwerken im Rijksmuseum führen.

Während ich als Technikfreak geneigt bin, diesen Fauxpas zu verzeihen, findet meine Begleiterin heraus, dass man auf den Fussgängermodus umschalten muss. Dann darf man Einbahnstrassen auch in der verkehrten Richtung passieren und auf dem direkten Weg zum Ziel. Beim Losgehen zeigt sich sofort ein zweites Manko: Das Pfeilchen, das uns den Weg weisen soll, zeigt nicht dahin, wo es sollte. Wir finden die Erklärung im gemächlichen Spaziertempo, mit dem wir unterwegs sind. Das Gerät errechnet die Marschrichtung anhand unserer Positionsverschiebung. Präzise ist die Richtung erst, nachdem wir einige Schritte zurückgelegt haben. Man darf sie ihm nur glauben, wenn man in Bewegung ist.

Nach der Eingewöhnungsphase ist uns das Tomtom ein zuverlässiger Führer. Seine genauen Kilometer- und Zeitangaben sind nützlich. Sie führen uns so überpünktlich ins Restaurant Vondelkade, dass uns der Wirt persönlich die Tür aufschliesst: Er sieht ein bisschen aus wie Kuno Lauener von Züri West und widmet uns seine volle Aufmerksamkeit. Und das, obwohl unsere holländische Bekannte uns gewarnt hat, es sei schwer, einen Platz in dem kleinen Restaurant mit der übersichtlichen, aber vielseitigen Menükarte zu ergattern.

Mit dem GPS verliert man auch im riesigen Hafengebiet nicht die Übersicht und findet sogar abgelegene Punkte: etwa das Café Wilhelmina-Dok, wo man zu trendigen Menüs dem kleinen Schiffsverkehr und den vorbeiziehenden Containerriesen zuschaut. In der Innenstadt hat man mitunter mit GPS-Löchern zu kämpfen. In engen Gässchen ist keine Ortung möglich, denn für die Positionsbestimmung braucht der Empfänger Sichtverbindung zu mindestens vier GPS-Satelliten. Dieses Hindernis taucht auf, als wir Amsterdams Rotlichtviertel besuchen. Nichts geht mehr. Auf dem Oudezijds Achterburgwal demonstriert gerade eine Gruppe junger Italiener, die einen der Ihren mit lauten Rufen zu einer amourösen Eskapade anfeuert, dass man sich in dieser Gegend von seinen Trieben leiten lässt. Wir aber erwarten, dass uns das GPS als Führer dient. Doch wir warten vergeblich.

Der Sightseeing-Alarm

In solchen Lagen eröffnet die Funktion «Navigiere zu» einen schnellen Ausweg. Unter «Ort von Interesse» werden, nach Entfernung geordnet, die Sehenswürdigkeiten in der Nähe angezeigt, also Museen oder besondere Bauwerke.

Baudenkmäler und kulturelle Plätze kennt das Tomtom von Haus aus. Die Datenbank des getesteten Geräts umfasst nicht nur Karten von ganz Europa, sondern, über den ganzen Kontinent verteilt, rund sieben Millionen PoI («Points of Interest»): Hotels, Bahnhöfe, Sehenswürdigkeiten. Für Restaurants, den neuesten Klub oder Shoppingtouren benötigt man die Adresse der anzusteuernden Lokalität; Geheimtipps sind vom Tomtom keine zu erwarten.

Per Menü lässt sich ein «Sightseeing-Alarm» aktivieren, der über ein Symbol auf dem Bildschirm darauf aufmerksam macht, wenn man sich in der Nähe eines sehenswerten Objekts befindet. Spontane Umwege sind erlaubt; die Routenplanung passt die Route bei Abstechern sofort an. Das Tomtom führt, das muss man ihm hoch anrechnen, seine Schützlinge an der langen Leine – ganz anders als der durchschnittliche Touristenführer, der sich nicht von der vorgesehenen Route abbringen lässt.

Schneller schlapp als der Tourist

Leider macht das Tomtom schneller schlapp als ein einigermassen fitter Städtewanderer. Die Batterie hält nur dann einen Tag lang durch, wenn man das Gerät bei Nichtgebrauch sofort ausschaltet. Den angesagtesten Klub von ganz Amsterdam, Jimmy Woo, haben wir, plötzlich strom- und führerlos, leider nicht gefunden, und auch das Café Nol mussten wir sausen lassen, um stattdessen die Füsse in die Hotelbadewanne zu stecken. Das Nol wäre übrigens laut einheimischer Empfehlung ein Hort der Geselligkeit in der Amstel-Metropole, wo man altes einheimisches Liedgut live erleben kann.

Fazit: Der GPS-Empfänger ist ein noch recht teurer, aber diskreter und sehr verlässlicher Reiseführer. Ein Manko bleibt die zu kurze Batterielaufzeit. Aber wird man deswegen zu den Navigationsinstrumenten der guten alten Zeit zurückkehren? Wohl kaum. Die Geräte, die es im Amsterdamer Schifffahrtsmuseum zu bestaunen gibt, kommen zwar alle ohne Energieversorgung aus.

Aber bei der Bedienung können Kompass, Sextant und das Astrolabium Catholicum (ein Messgerät, das anhand der Fixsterne eine Positionsbestimmung durchführte) dem GPS doch nicht ganz das Wasser reichen.

An Amsterdams Grachten mit ihren langen Häuserblocks und wenigen Querstrassen macht sich GPS nützlich.

Dieselbe Gegend auf dem Tomtom-Bildschirm.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 29. März 2006

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Thema: Reisen
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