Macromedia Studio 8

Fröhliches Bäumchen-wechsle-dich-Spiel in Macromedia Studio 8

Ende September geht die neue Version von Macromedias Webdesign-Suite an den Start: In Studio 8 fehlen Freehand und ColdFusion, dafür sind das Content-Management-System Contribute und FlashPaper mit von der Partie.

MATTHIAS SCHÜSSLER Macromedia hat ihr Paket an Internetanwendungen frisch geschnürt und bringt es Ende September in die Läden. Das Sperenzchen mit hippen Buchstabenkürzeln gehört der Vergangenheit an; die neue Version kommt ohne «MX» aus und heisst schlicht Studio 8. Das Bundle selbst erscheint zum dritten Mal; die Versionsnummer haben die drei zentralen Komponenten Dreamweaver, Flash Professional und Fireworks beigesteuert, die jeweils in der achten Version vorhanden sind.

Studio 8 weist gegenüber seinem Vorgänger eine veränderte Zusammensetzung auf. Zwei Komponenten aus Studio MX 2004 sind nicht mehr dabei. Die Serversoftware Coldfusion fehlt im Paket und auch das Vektorgrafikprogramm Freehand sucht man vergeblich. Dafür steckt nun Contribute 3 mit in der Schachtel. Zu dem Content-Management-System gehört auch FlashPaper, Macromedias Technologie zur Umwandlung beliebiger Dokumente in SWF oder PDF.

Auf Coldfusion können die meisten kreativen Anwender bestens verzichten, und die Integration von Contribute erweitert die Einsatzmöglichkeiten der Suite auf sinnvolle Weise. Das Fehlen von Freehand gibt hingegen zu Spekulationen Anlass: Nahe liegend, zu vermuten, dass es sich bei der beliebten Vektorgrafik-Software um das erste Opfer der Fusion von Macromedia und Adobe handelt. Macromedia dementierte diese Vermutung an der Pressekonferenz. Freehand werde weiterentwickelt, lautete die Beteuerung; ein Termin für die nächste Version wurde indes nicht genannt.

Vektor-Opa auf dem Altenteil

Wenn der Vektor-Opa tatsächlich noch nicht aufs Altenteil abgeschoben wurde, dann dürfte dessen Absenz daher rühren, dass Macromedia seine Entwicklerressourcen auf die Programme mit dem grössten Potenzial für Neuerungen konzentrieren wollte. Studio 8, so das Bekenntnis des Herstellers, erreicht den Markt als ausgereiftes Produkt. Der blamable Auftritt von Studio MX 2004 soll sich nicht wiederholen. Die letzte Version der Software war so absturzgefährdet und langsam, dass sie den Goodwill ihrer Anwender schnell verspielt hat und die Verkaufszahlen nach kurzer Zeit eingebrochen sind.

Für Webdesigner und -entwickler ist Studio 8 eine lohnende Investition, zumal man mit einer beliebigen alten Version von Studio, Dreamweaver, Flash, Freehand, Fireworks oder Coldfusion die Upgrade-Version ordern darf (sie kostet 520 Euro, gegenüber einem Preis von 1159 Euro für die Vollversion). Mit Studio 8 sind die Webkomponenten auf dem neuesten Stand und der Anwender ist auch für die Entwicklung von «Rich Content» gerüstet, der auf Mobiltelefonen erscheinen soll.

Handy als Hoffnungsträger

Dem Gestalten für den Handybildschirm misst Macromedia grosses Gewicht bei und spricht deswegen vom bedeutendsten Upgrade seit Anbeginn des Studio-Bundles. Nach der Zeitrechnung des Herstellers bricht gar eine neue Ära an: Nach der CD-ROM-Epoche mit Director und dem von Flash dominierten Zeitalter des Internet schlage nun die Stunde der Breitband-Mobiltelefonie. Und angesichts der grossen Popularität von Handy-Klingeltönen, Logos, Wallpaper und Java-Games kann man sich gut vorstellen, dass die Handy-Entwickler für ihre Arbeit auch gern Flash einsetzen würden.

Ob Flash auf dem Handy allerdings auf breiter Front für «seriöse» Belange eingesetzt würde, darf bezweifelt werden. Macromedia schweben für die neue Technologie Business-Anwendungen wie das viel gezeigte Hotelreserva­tionssystem vor – aber womöglich wird es eher der Spieltrieb der jungen Mobiltelefon-Generation sein, der dem Flash-Player fürs Handy den Weg ebnet und mit kleinen Games zum Durchbruch verhilft.

Flash 8 enthält eine Reihe von Vorlagen für Handy-Anwendungen. Legt man ein neues Dokument an, kann man dieses per Vorlage für ein Symbian-Telefon, diverse Nokia 7710 oder das Motorola A92X oder für eine Reihe von Sony-Clié-Handhelds massschneidern. In den Einstellungsmöglichkeiten unter den Eigenschaften eines Flash-Films findet sich nun die Schaltfläche «Device Settings». Bei einem «Flash-Lite»-Film fürs Mobiltelefon ist es wichtig, den richtigen «Content Type» zu setzen – zum Beispiel Alarm, Rufmelodie, Animation oder Standby-Anzeige. Nicht alle Inhaltstypen stehen auf allen Mobiltelefonen zur Verfügung; je nach Content stehen unter «Available devices» andere Geräte zur Auswahl. Wählt man den «Stand-alone Player», kann man Flash-Filme für die Wiedergabe mit gängigen Symbian-Telefonen generieren. So könnte man solchen Content etwa auf dem Siemens SX1, dem Sony Ericsson P800 oder dem Nokia 7610 oder dem N-Gage anzeigen.

Betätigt man bei einem Flash-Lite-Film den Befehl «Test Movie», dann erscheint der «Mobile Emulator».

Auf Handygrösse geschrumpft

Der Emulator soll es dem Gestalter leichter machen, seine Filme auf Handy­displaygrösse schrumpfen zu lassen. Die zu mobilisierenden Flash-Filme lassen sich auf dem emulierten Handy nicht nur ansehen, sondern auch steuern. Die Funktionstasten des virtuellen Geräts betätigt man per Maus, sodass man auf diesem Weg auch interaktive Flash-Filme der Nagelprobe unterziehen kann. Rund hundert Mobilgeräte kennt Flash von Haus aus; per Internet kann Unterstützung für neue Telefone und PDAs hinzugefügt werden. Schliesslich hilft eine neue Script-Assist-Funktion beim Programmieren von ActionScripts für mobile Geräte.

Nebst den Funktionen für Klein- und Kleinstgeräte hat Macromedia einen neuen Video-Codec in Flash eingebaut. «On2 VP6» soll auch bei kleinen Dateigrössen solide Qualität bieten. Ein solcher Videostrom kann auch einen Alphakanal enthalten, was ganz neue Möglichkeiten für die Arbeit mit Transparenz ermöglicht. Eine neue Funktion namens «Bitmap Caching» beschleunigt die Darstellung des Flash-Films, wenn viele Vektorobjekte auf der Bühne abgelegt wurden: Der neue Flash-Player verwandelt Vektorobjekte in ein Bitmap-Abbild und verwendet dieses zur Anzeige, solange sich das Objekt nicht verändert – aufwändiges Neuberechnen sich nicht verändernder Vektorformen entfällt.

So kundenorientiert wie nie

Eine Technologie namens FlashType ist darum bemüht, Text lesbarer zu machen. Neue Antialiasing-Algorithmen bringen insbesondere kleine Buchstaben klarer auf den Bildschirm. Macromedia ist stolz darauf, dass Flash 8 das «am meisten durch Kundenwünsche beeinflusste Release in der Geschichte des Unternehmens» sei, wie es Chief Software Architect Kevin Lynch ausdrückte. Böse Zungen könnten das so interpretieren, dass Softwarefirmen dann beginnen, auf die Kunden einzugehen, wenn ihnen die eigenen Ideen ausgehen. In einer nichtpolemischen Deutung muss man den neuen Flash-Funktionen attestieren, dass sie Animationskünstlern interessante neue Möglichkeiten einräumen. Die Vektor­objekte lassen sich nun mit Filtern und Bitmap-Effekten ausstatten, wie man sie aus dem Bildbearbeitungsprogramm Fireworks kennt. So können Objekte Schatten werfen, Bewegungsunschärfe aufweisen, glühen oder mit einer Kante ausgestattet werden. In der von uns getesteten Betaversion lassen sich nur Textobjekte, Filme und Schaltflächen mit Filtern versehen; bei einem simplen Rechteck gibt es keine Filter. Dieses Manko müsste Macromedia beheben, denn es schmälert den Praxisnutzen ganz gewaltig.

Vor, zurück, vor, zurück …

Die Überblendungsmethoden standen uns im Betatest ebenfalls nicht zur Verfügung. Sie müssten es ermöglichen, Objekte auf verschiedene Weise mit dem Hintergrund zu mischen, zum Beispiel aufhellen, additive oder subtraktive Mischung oder multiplizieren, doch in der Beta fehlte diese Option.

Viele neue Möglichkeiten stecken schliesslich im neuen «Custom Ease-in /Ease-out»-Editor: Mit diesem Werkzeug lassen sich die Parameter eines Objekts anhand eines Pfades vorgeben: Position, Rotation, Grösse, Farbe oder Filter ändern sich zwischen zwei Keyframes nicht linear, sondern gemäss der Vektorkurve, die man dem Keyframe über den Eingenschaften-Dialog zugewiesen hat. So ist es einfach, eine Bewegung zu beschleunigen oder abzubremsen oder gar einen Vor-und-Zurück-Effekt zu erzielen.

Endlich gerade Enden

Ein kleines Detail, das viele Flash-Anwender mit einem Seufzer der Erleichterung aufnehmen werden: Linien können nun auch gerade abgeschlossen sein; bislang waren die beiden Enden immer gerundet.

Dreamweaver in der Version acht hält ebenfalls einige aus dem Leben gegriffene Neuerungen bereit. Ein simples, aber sehr angenehmes Feature ist die Zoomfunktion: Damit vergrössert oder verkleinert man beim Bearbeiten die Ansicht und kann auch mit angepasstem Zoomfaktor texten oder layouten. Auch ein anderes neues Feature kennt man aus herkömmlichen Layout- oder Grafikprogrammen: Die Hilfslinien, die das Positionieren und Ausrichten von Seitenelementen vereinfachen, und die wie in Grafikprgrammen einfach von den Linealen auf die Seite gezogen werden können.

Wer gern in der Quellenansicht arbeitet, wird das «Code Collapsing» schätzen. Code, der für die gerade aktuelle Arbeit nicht von Interesse ist, blendet man einfach aus: Dazu markiert man ihn und klickt auf die «Collapse Selection»-Schaltfläche in der «Gutter»-Symbolleiste, und schon wird der ganze Code auf eine einzige Zeile reduziert. Doppelklickt man auf diese Zeile oder das Plus-Symbol, taucht der Code wieder aus der Versenkung auf. Über die «Gutter»-Bar können auch Kommentare oder Zeilennummern ein- und ausgeblendet werden.

Das CSS-Dickicht entwirren

Anwender, die ihre Designs solide über Stylesheets konstruieren, werden die CSS-Visualisierung schätzen lernen. Sie hebt CSS-Layoutelemente farblich hervor. Klickt man beispielsweise die Option «CSS Layout Outlines» an, werden alle Seitenelemente durch einen farbigen Umriss markiert, die per \-Tag oder mit absoluter Positionierung fix auf der Seite verortet sind. Mit «CSS Layout Box Model» werden die Innen- und Aussenabstände eines markierten Blocks durch Schraffur gekennzeichnet. Mit «CSS Layout Backgrounds» erscheint jeder Layoutblock mit einer separaten Hintergrundfarbe und über Tooltipps erhält man Angaben zu den selektierten Seitenelementen.

Das ist praktisch, und man findet via CSS-Palette schnell heraus, welche Regeln das Aussehen eines Elements bestimmen – und, bei mehreren verschachtelten Stildateien, in welchem CSS-File die dominante Stildefinition zu suchen ist. Markiert man erst im Bearbeitungsfenster ein Seitenelement und dann in der CSS-Palette eine Eigenschaft, dann steht im Info-Abschnitt der CSS-Palette beispielsweise: «Border-bottom is defined in rule #masterhead in 2col_leftnav.css». Über den Befehl «Go to Code» im Kontextmenü öffnet man auch gleich die fragliche Stildatei.

Das ist, gerade bei widersprüchlichen Definitionen, mitunter enorm aufschlussreich. Andere Webeditoren beschränken sich darauf, beim Bearbeiten von Stildefinitionen zu helfen, ermöglichen aber keine Rückverfolgung, mit der man, ausgehend von der angezeigten Seite, zurück zu den zugrunde liegenden Stildefinitionen kommt.

Eine mitunter absolut geldwerte Neuerung ist die Unterstützung für XML. Laut Dokumentation ermöglicht es Dreamweaver, per Drag und Drop XML-Datenquellen in die Webseite einzubauen. Die Macromedia-Präsentatoren zeigen in einer Lösung, wie ein RSS-Feed per Mausklick in eine HTML-Seite integriert werden kann. Really simple Syndication ist ein Standard zum Austausch von Nachrichtenmeldungen oder Artikeln zwischen Websites.

Newsfutter verabreichen

In einem RSS-Feed enthalten die einzelnen Abschnitte Meta-Informationen, die sie als Überschrift, Lead, Haupttext oder Zwischentitel auszeichnen, aber keinerlei Gestaltungsinformationen. Durch Transformation lassen sich die XML-Informationen nahtlos in vorhandene Webseiten einfügen, doch bislang war dafür viel technisches Know-how oder ein teures Programm wie zum Beispiel die Altova XML Suite notwendig. Wie sich die XML-Unterstützung und XSLT-Transformationen à la Dreamweaver in der Praxis bewähren, konnten wir beim ersten Betatest nicht im Detail austesten; viel versprechend ist die Funktion allemal.

Mit Contribute enthält Studio 8 schliesslich ein Werkzeug zur Pflege grösserer Websites. Das Content Management System eignet sich vor allem für kleinere bis mittlere Unternehmen, in denen die Mitarbeiter direkt Webinhalte schreiben oder anpassen sollen, auch wenn sie nichts von Webdesign und HTML verstehen. In Contribute gibt es verschiedenartige Anwender: Die Administratoren sind für die Gestaltung und die Struktur der Website zuständig und haben weit reichende Rechte. Der normale Redakteur darf Texte editieren, ist aber nicht berechtigt, Hand ans Design zu legen.

FlashPapers starten schneller

Zu Contribute gehört auch FlashPaper. Diese Technologie funktioniert wie Adobes PDF Writer: Er integriert sich als Druckertreiber ins Betriebssystem und wandelt die Druckausgabe eines Anwendungsprogramms in ein digitales Dokument um: wahlweise in ein PDF oder in eine Flash-Datei. Auch wenn Flash auf den ersten Blick für textlastige Dokumente nicht unbedingt ideal erscheint, gibt es bei näherer Betrachtung doch einige Gründe, Flash den Vorzug zu geben. Zum einen lässt sich ein Flash-Film besser (d. h. ohne separate Symbolleiste, die der Acrobat Reader im Browser anzuzeigen pflegt) in eine HTML-Seite einbauen. Auch der Geschwindigkeitsgewinn ist nicht zu vernachlässigen. Wegen der exorbitanten Startzeit des Acrobat Reader erscheinen zumindest unter Windows Flash-Inhalte deutlich schneller als eine PDF-Datei.

Ein starker Auftritt

Macromedia lässt sich nicht lumpen, sondern legt mit Studio 8 trotz oder vielleicht gerade wegen der anstehenden Fusion mit Adobe einen starken Auftritt hin. Wenn die teilweise noch fehlenden Funktionen der Beta in der finalen Version wie erhofft funktionieren und die versprochene Stabilität gewährleistet werden kann, wird die neue Version eine treue Anwenderschaft finden. Freehand allerdings, in Studio 8 nicht mehr vertreten, geht einer ungewissen Zukunft entgegen.

Dreamweaver 8 zeigt mit Hilfe von farbenfrohen Flächen in der CSS-Visualisierung, wie ein Layout konstruiert ist.

Auch Handys kriegen jetzt einen Flash(-Film).

Hüst und hott in Flash: Mit Bewegungspfaden müssen Bewegungen nicht linear sein, sondern können komplexen Mustern folgen.

Quelle: Publisher, Montag, 4. Juli 2005

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Thema: Software-Test
Nr: 6403
Ausgabe: 05-4
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