Animationsprogramm Apple Motion

Pixel mit Bewegungsdrang

Apples Video-Animationsprogramm ist ein grosser Wurf: Motion verbindet professionelle Funktionen mit einfacher Bedienbarkeit.

MATTHIAS SCHÜSSLER Der brave Büroarbeiter werkelt mit Windows, doch die Plattform der Kreativen ist der Mac. Diesem Glaubenssatz würde mancher Mac-Getreuer nicht einmal unter Folter abschwören. Zu tief geht die Überzeugung, dass das richtige Werkzeug für schöpferische Tätigkeiten ein Apple-Computer ist. Und so hatte das Kreativitätsdogma Bestand, obwohl Apple jahrelang keine Anstalten machte, dem Ruf gerecht zu werden und es, angesichts der Möglichkeiten von Windows oder Linux, nur noch eine Leerformel war.

Heute hat Apple zu den alten Tugenden zurückgefunden. Niemand muss sich mehr unterstellen lassen, ein in der Vergangenheit lebender Nostalgiker zu sein, wenn er die Worte Macintosh und Kreativität im gleichen Atemzug nennt. Im Multimedia-Bereich gibt es tatsächlich keine andere Plattform, die ein so breites Spektrum an Funktionen auf so leicht verständliche Weise bereitstellt. Ein Mac mit dem iLife-Paket beispielsweise deckt selbst die Bedürfnisse ambitionierter Anwender ab. Bei Windows sucht man eine solche Komplettlösung vergebens.

Auch in der professionellen Be- und Verarbeitung von Bild und Ton hat Apple neuerdings wieder eine gute Hand. Motion, das seit Ende letzten Jahres erhältliche Programm für Video­animationen, ist ein gutes Beispiel dafür, mit welchen Stärken Apple sogar eingefleischte Windows-Anwender neidisch macht: Apple schafft locker den Spagat zwischen Funktionsvielfalt und Funktionalität. Es gibt zwar auch bei Apple Hürden zu überwinden, bevor die produktive Arbeit mit einem neuen Werkzeug losgehen kann – aber die Hürden sind vergleichsweise niedrig. Wer schon vom Konzept der Zeitleiste gehört hat und weiss, dass bei einem objektorientierten Zugang jedes Ding seine Eigenschaften hat, kommt mit Motion innerhalb eines halben Tages auf ansehnliche Resultate.

Spagat zwischen Features und Funktionalität

Und das, obwohl die Grafikanimation absolut keine triviale Angelegenheit ist. Das liegt an der zusätzlichen Dimension der Zeit, mit der sich der Anwender herumschlagen muss. Sie spielt bei der Bearbeitung statischer Bilder in Photoshop oder Illustrator keine Rolle, doch bei der Video-Animation ist die Zeit der zentrale Faktor. Indem die Eigenschaften der Elemente zeitabhängig gesetzt werden, kommt Bewegung ins Spiel. Offensichtlich ist dies bei der Position eines Elements: Ändert sich diese auf der Zeitleiste, dann führt das Objekt eine Bewegung aus. Ändert sich die Deckkraft eines Elements über die Zeit, wird es ein- oder ausgeblendet. Es gibt in Motion keine Eigenschaften, die sich nicht über die Zeitleiste animieren liessen. In Motion arbeitet man recht schnell mit diesen Möglichkeiten: Sobald man gemerkt hat, dass man via Zeitleiste den Start- und Endzeitpunkt festlegt und dann im Eigenschaften-Fenster am linken Bildschirmrand im Reiter «Information» die gewünschte Eigenschaft auswählt, Keyframes hinzufügt und dann die Parameter für den Start- und Endzeitpunkt festlegt.

So weit, so gut. Vergnüglich – und einfach – ist die Arbeit mit Motion aber vor allem wegen dreier leistungsfähiger Konzepte. Nämlich dem Verhalten, den Filtern und den Partikelsystemen. Sie erlauben es, ohne viel Gefummel mit der Zeitleiste zu spektakulären Resultaten zu gelangen. Verhalten sind vordefinierte Effekte, die man per Menü einem Objekt zuweist.

Um eine Textzeile zu erhalten, die flott ins Bild einfliegt, tippt man als erstes den Text, markiert dann das Textobjekt, klickt auf die Schaltfläche «Verhalten hinzufügen» in der Menüzeile, wählt «einfache Bewegung > Bewegungspfad» und setzt einen Vektorpfad, der von ausserhalb des Bildausschnitts in die Mitte des Bildes führt. Über die Verhalten «Grösser/kleiner werden» und «einblenden» kann man den Effekt noch verfeinern.

Wenn Buchstaben auf die Fensterkante prallen

Das ist aber erst der Anfang: Das Menü hält ausserdem eine Reihe von komplexen Verhaltensweisen bereit. Per Mausklick bringt man seinen Elementen bei, sich anzuziehen oder abzustossen. Über «Schwerkraft» bringt man einem Objekt bei, mit zunehmender Beschleunigung nach unten zu sacken. Und wenn man dann noch die Verhaltensweise «Randkollision» zuweist, dann prallt das Objekt nach dem Kontakt mit dem unteren Rand wieder nach oben – physikalisch korrekt simuliert. Mit herkömmlichen Mitteln, wie Keyframes, liesse sich ein solcher Effekt nicht oder nur mit grossem Aufwand herstellen. Ebenso manche der anderen Verhaltensweisen wie Strudel, Umkreisen, Wind oder Drift.

Für die Textanimation hält Motion mehr als Hundert recht augenfällige Effekte bereit. Ausserdem so genannte «Live Fonts», bei denen jeder Buchstaben einen Animationseffekt aufweist.

Über Filter erzielt man eine Reihe von beeindruckenden Effekten: Man bringt auf diesem Weg Objekte zum Glühen, zeichnet sie weich, stattet Elemente mit Stilisierungen aus, führt Farbänderungen durch, und so weiter. Partikelsysteme sind eine weitere Quelle spektakulärer Effekte. Sie simulieren Naturphänomene wie Nebel, Rauch oder Feuer, indem ein einzelner Partikel (ein Pixelbild oder eine Vektorform) vervielfältigt und zum Mitglied einer «Formation» wird, die als Ganzes einer Reihe von Gesetzmässigkeiten gehorcht. Ein beliebiges Element kann als so genannter Partikelemitter verwendet werden: So lässt sich aus dem Bild eines einzelnen Fisches ein Fischschwarm generieren. Fügt man dann eine Verhaltensweise wie Anziehung hinzu, hat man schon einen Fischschwarm, der auf ein anderes Objekt im Film «zuschwimmt». Schade: Es ist nicht möglich, als Quelle eines Partikelstroms eine Vektorform vorzugeben, sodass beispielsweise ein Schriftzug Funken sprühen würde.

Mit einem Preis von 449 Franken ist Motion ein Schnäppchen – zu beachten sind die hohen Hardwareanforderungen: Es braucht mindestens einen G4- oder G5-Prozessor, Mac OS X 10.3.5, 512 MB RAM und eine moderne ATI-Radeon- oder Nvidia-GeForce-Grafikkarte.

Wer digitale Videos produziert, kann seine Filme per Motion mit professionellen Effekten anreichern, überzeugende Intros, Trailer oder illustrative oder schematische Sequenzen gestalten. Auch Produzenten von Flash-Movies, Webdesigner mit einer Abneigung oder Videokünstler finden in Motion ein leistungsfähiges Werkzeug. Kreativ sind die Motion-Schöpfungen nicht per se; ob Kunst oder Pixelmüll entsteht, liegt auch in diesem Fall allein beim User. Doch Apple macht es dem User leicht, den Pixeln das Laufen zu lehren. Wenn sich die Inspiration nicht einstellt, ist nicht die Software schuld.

Apple Motion ist Bildbearbeitung, erweitert um die Dimension der Zeit.

Über ein Partikelsystem wird der Fisch zum Fischschwarm.

Im Keyframe-Editor ist sichtbar, welche Parameter der einzelnen Grafikobjekte animiert werden. Jede Eigenschaft lässt sich zeitabhängig steuern.

Quelle: Publisher, Donnerstag, 6. Januar 2005

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Thema: Software-Test
Nr: 6326
Ausgabe: 05-1
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