Datengesteuertes Publizieren mit Adobe Illustrator

Der freie Fluss der Informationen ist noch kein reissender Strom

Adobe Illustrator enthält die Möglichkeit, Informationen aus Excel-Tabellen oder Datenbanken in Grafiken einfliessen zu lassen. Doch wer diese Funktion nutzen will, braucht Nerven wie Drahtseile – und das exklusive Publisher-Tool «Illustrationator».

MATTHIAS SCHÜSSLER Nicht immer ist Software so benutzerfreundlich, wie man sich das als Anwender wünscht. Der Sinn und oder die Funktionsweise dieses oder jenes Features erschliesst sich dem neugierigen User erst nach ausgiebigem Studium des Handbuchs. Andere Benutzer, die aus Prinzip, Stolz oder Faulheit grundsätzlich nie ein Handbuch lesen, stellen in so einem Fall Feldversuche an: Man klickt, spielt gegebenenfalls an den Optionen rum und sieht, was passiert. Auf die eine oder andere Weise wird dann in aller Regel klar, was sich der Hersteller dachte, als er dieses Feature in sein Produkt einbaute.

Die folgende Geschichte handelt von der Ausnahme dieser Regel: Illustrator gab uns mit einer unscheinbaren Palette ein fast unlösbares Rätsel auf. In Adobes Vektorgrafikprogramm lässt sich über das «Fenster»-Menü ein Werkzeug namens «Variablen» einblenden. Dieses erlaubt es offensichtlich, eine Datenstruktur zu definieren und diese mit Einträgen zu füllen. Es braucht nur wenig Fantasie, um zu merken, was sich mit solchen Datensätzen anstellen lässt. Man kann Texte einer Grafik austauschen, indem man sie aus einer kleinen Datenbank bezieht. Es leuchtet unmittelbar ein, dass der Layouter eine Menge Zeit sparen wird, sobald er an einer Grafik arbeitet, die in verschiedenen Varianten zum Einsatz kommt. Steht die Grafik in ihren Grundzügen, braucht der Layouter die Textvarianten nicht von Hand in die Felder zu tippen, sondern erfasst für jede Variante einen Datensatz in der Variablenpalette. Will er dann zwischen verschiedenen Varianten seines Dokuments wechseln, braucht er über das Drop-Down-Menü der Palette bloss den gewünschten Datensatz zu wählen, und schon werden alle verknüpften Felder mit den Texten dieses Datensatzes gefüllt. Er kann auch die «Vorwärts»-/«Rückwärts»-Knöpfe der Palette benützen, um die Datensätze durchzublättern (wobei eine kleine Pfuscherei von Adobe dazu führt, dass in Illustrator CS die Variablenpalette nur die «Rückwärts»-Schaltfläche sichtbar ist. Um auch vorwärts blättern zu können, muss man die Palette erst ein paar Pixel breiter machen).

Variabilität dank Variablenpalette

Bei einer Grafik, die in mehreren Sprachen benötigt wird, braucht der Gestalter nicht mehr mit verschiedenen Dateien zu hantieren oder den Text von Hand auszutauschen. Er erfasst für jede Sprache einen Datensatz: Die Verwaltung der verschiedenen Fassungen geht auf diesem Weg elegant und simpel von der Hand. Und sie ist weniger fehleranfällig, als wenn mit verschiedenen Dateien hantiert werden muss. Wer Ähnliches schon getan hat, den packt allein beim Gedanken grosses Unbehagen. In so einem Fall würde garantiert eine nachträgliche Änderung fällig, wodurch die Gestaltung bei jeder Datei einzeln auf den neuesten Stand gebracht werden müsste. Auch das manuelle Austauschen der Texte ist Zeit raubend und anfällig für Flüchtigkeitsfehler. Ohne Frage: Die Variablenpalette ist ein Segen, und sie hilft nicht nur bei Sprachvarianten, sondern auch bei Schemata (Datenblättern) oder bei vielen anderen Projekten, bei denen variable Textinhalte in ein fixes Layout einfliessen.

Die Variablenpalette hat aber noch mehr zu bieten: Über die Datenstruktur lassen sich auch externe Verknüpfungen steuern, zum Beispiel im Dokument eingebettete Pixelbilder. Die Palette kann auch die Sichtbarkeit von Illustrator-Objekten steuern, sodass Elemente (Logos, Textelemente etc.) der Gestaltung nicht in allen Varianten in Erscheinung treten.

Hinter der unscheinbaren Variablenpalette stecken grosse Möglichkeiten. Um in der Praxis den Nutzen aus der Palette zu ziehen, den die Theorie verspricht, muss man sich, wie am Anfang dieses Artikels angedeutet, mit frappanten Ungereimtheiten auseinander setzen. Eine (kleine) Ungereimtheit ist die Erfassung von Daten in der Variablenpalette. Die Logik, welche Adobe diesem Vorgang zugrunde legt, dürfte dem Hirn eines Programmierers entsprungen sein; als unbedarfter Gestalter kommt man damit nicht auf Anhieb zurecht. Am einfachsten gehts, wenn man mit dem Textwerkzeug die notwendigen Textfelder in der Grafik platziert, etwas Sinnvolles hineinschreibt und sich dann der Palette zuwendet. In diesem Werkzeug erfasst man für jedes dynamische Textfeld eine Variable. Und zwar mit dem Befehl «Neue Variable» aus dem Flyout-Menü der Variablenpalette – dieses Menü erscheint, wenn Sie auf das kleine Symbol mit dem Pfeil nach rechts klicken.

Dann gehts ans Verknüpfen: Dazu markiert man auf der Zeichenfläche das Textfeld und in der Variablenpalette die dazugehörende Variable. Die Verbindung dieser beiden Elemente besiegelt ein Klick auf die Schaltfläche «Text dynamisch machen». Ist man damit fertig, kann man den Datensatz speichern (Befehl «Datensatz erfassen») – damit wird der aktuelle Inhalt der Textfelder in die kleine Illustrator-Datenbank abgelegt. So weit gekommen, darf man nun den Text in den Textfelder ändern, d.h. andere Inhalte eintragen. Ist die zweite Variante fertig, kann man sie wiederum über den Befehl «Datensatz erfassen» als neuen Datensatz ablegen. Wenn Sie stattdessen einen bereits vorhandenen Datensatz verändern, d.h. überschreiben wollen, wählen Sie den Befehl «Datensatz aktualisieren». Mit dieser hier in extenso beschriebenen Vorgehensweise vermeidet man, dass bereits erfasste Datensätze verloren gehen.

So weit, so gut. Man könnte jetzt aber leicht auf die Idee kommen, die Datensätze nicht in Illustrator zu erfassen, sondern von einer externen Datenquelle einzulesen. Häufig dürften sie bereits vorhanden sein – vom Kunden angeliefert, in einer Excel-Tabelle abgelegt, in einer Adresskartei gespeichert. Richtig Sinn macht die Arbeit mit einer kleinen Datenbank erst dann, wenn die Daten aus einer externen Quelle eingelesen werden. Illustrator bietet für den Import einen passenden Befehl, nämlich «Variablenbibliothek laden».

Das Programm akzeptiert aber nicht irgendeine Datei, sondern erwartet eine Datenstruktur im XML-Format. Das macht Sinn, denkt sich der Anwender, denn XML ist schliesslich genau dazu da, strukturierte Daten zwischen verschiedenen Programmen auszutauschen (siehe dazu auch Kasten «XML in kurzen Zügen»). Die neuen Versionen von Word und Excel erlauben den Export von XML, sodass einem praxisnahen Workflow nichts im Weg stehen dürfte. So weit verbreitet, wie Word oder Excel sind, dürfte eine Alltagssituation häufig so aussehen, dass man Daten in den Formaten von Microsoft Office angeliefert bekommt.

Die grosse Unbekannte der Variablenpalette

Doch so einfach macht es Adobe einem nicht. Im Gegenteil, kurz vor dem Ziel wirds richtig haarig! Illustrator verschmäht sämtliche XML-Dateien, die man ihm vorsetzt. Nur die, welche das Programm selbst gespeichert hat, werden akzeptiert – damit kann aber nur ein Datenaustausch zwischen einzelnen Illustrator-Dokumenten stattfinden, nicht aber mit anderen Programmen. Diverse hartnäckige Fragen zum Thema bei Adobe bleiben fruchtlos – der Hersteller der Software kann nicht Auskunft darüber geben, wie man es anstellen muss, um Illustrator eine fremde XML-Datei schmackhaft zu machen. Die Dokumentation (Stand Illustrator 10) schweigt sich diesbezüglich aus und die Erkundigungen fruchten nicht einmal so weit, als dass man hinterher wüsste, wie sich Adobe selbst die konkrete Verwendung dieses Features vorstellt.

Da stellt sich die Frage, weshalb ein solches Feature implementiert wird, der User dann aber beim Gebrauch im Regen steht. Aus Marketinggründen, weil das Schlagwort «datenbankgesteuertes Publizieren» aufhorchen lässt und ein Verkaufsargument darstellt? Oder, wie eine weniger harsche Interpretation lautet, alles eine Frage der Geduld ist: Adobe legt erst einmal das Fundament, das erst in späteren Versionen der kreativen Publishing-Programme Früchte tragen wird. Wenn durchgängige XML-Workflows vorhanden sind, dann wird Illustrator auch fremden XML-Dateien zugänglich sein …

Wie dem auch sein mag – als User muss man sich damit nicht zufrieden geben. Wer vor pragmatischen Lösungen nicht zurückschreckt, kann heute schon mit Illustrator datengesteuert publizieren. Das geht verblüffend einfach, wie Illustrationator beweist – ein Konvertiertool für Illustrator, das wir exklusiv für «Publisher»-Leser anbieten (siehe unten).

Die Variablenpalette deutet an, wohin die Reise geht

Der Ansatzpunkt, sich Illustrator gefügig zu machen, liegt bei XML. Dieses Format für strukturierte Daten besteht aus Textdateien. Das bedeutet, dass ein simpler Texteditor und etwas Spürsinn ausreichen, um beliebige Daten in eine zu Illustrator kompatible Form zu bringen. Will man solches tun, speichert man in der Palette eine Variablen-Bibliothek, schaut sie sich im Windows-Editor (oder einem XML-Bearbeitungsprogramm) an und nimmt sie als Vorlage für eigene Datenstrukturen. Adobe formuliert die Illustrator-Variablenbibliothek als SVG. Das «Scalable Vector Format» ist eine XML-Unterart (gewissermassen ein Dialekt) für Vektorgrafiken. Daher wird klar, wie Adobe sich die Arbeit mit Variablenbibliotheken vorstellt. Das XML-Konzept sieht vor, dass man unterschiedlich aufgebaute Datenstrukturen über so genannte Transformationen ineinander überführen kann. Ein XML-Profi kann eine Art Übersetzungsmechanismus einrichten, der beispielsweise Excels XML-Dialekt in den von Illustrator verwendeten Dialekt überführt. Sobald eine solche Transformation existiert, steht dem munteren Datenfluss zwischen den verschiedenen Anwendungen nichts mehr im Weg. Das ist ein leistungsfähiges Konzept – aber es bringt hohe Einstieghürden mit sich. Ein normaler Illustrator-Anwender wird nicht eben die passende Transformation aus dem Ärmel schütteln. Eine Transformation ist viel einfacher zu schreiben als die Importfilter, wie sie die Anwendungen in der Vor-XML-Ära verwendeten. Aber ohne Grundlagenwissen über die Funktionsweise von XML und die notwendigen Transformationsbefehle gehts nicht ab.

Wir haben mit Illustrationator daher ein simples Programm in die Welt gesetzt, das eine tabulatorgetrennte Textdatei ins Illustrator-Format verwandelt. Tabulatorgetrennte Dateien lassen sich mit den allermeisten Programmen speichern, namentlich Word, Excel oder Datenbanken wie Access oder FileMaker. Zugegeben: Auf diese Weise etablieren wir keinen wasserdichten XML-Workflow, sondern schleichen hintenrum ins Ziel. Was zählt, ist die Möglichkeit, die ansonsten brachliegende Fähigkeit von Illustrator unkompliziert zu nutzen. Da ist eine handgestrickte Lösung allemal zu billigen.n

Die «Illustrationator»-Software findet sich im Download-Bereich von www.publisher.ch.

Die Variablenpalette: Dreh- und Angelpunkt für dynamische Inhalte in Illustrator.

Illustrationator gibts exklusiv für Publisher-Abonnenten im Download-Bereich der Publisher-Website.

Datenbankgesteuertes Publizieren in Illustrator: Das gleiche Layout erscheint mit verschiedenen Inhalten. Der Text und das Bild rechts werden vom Datensatz in der Variablenpalette bestimmt. Die Daten dafür wurden aus einer Excel-Tabelle exportiert und mit dem Illustrationator-Tool ins richtige Format übergeführt.

Quelle: Publisher, Donnerstag, 15. April 2004

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Thema: Prepress
Nr: 5611
Ausgabe: 04-2
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