Ein Scherbeln in den Ohren

Von Matthias Schüssler

Seit zehn Tagen kann, wer von Microsoft nicht genug kriegt, mit einem Windows-Handy telefonieren. Das SPV ist das erste «Microsoft Windows Powered»-Mobiltelefon und wird in der Schweiz exklusiv von Orange angeboten. Vorab muss man dem SPV eins zu Gute halten: Es beweist hieb- und stichfest die Nutzlosigkeit von MMS. Dieses Format für multimediale SMS erlaubt den Versand von Kurznachrichten, die mit Bildern und Tönen angereichert sind. Das Microsoft-Handy hat eine Internetmailbox eingebaut und lässt keinen Zweifel daran, dass E-Mail das bessere MMS ist: flexibler, etabliert und im Idealfall günstiger.

E-Mail am Handy hat zwei dicke Pferdefüsse: Zum einen kostet auch das Lesen von Mail, und zum anderen bleiben Nachrichten unentdeckt, solange sie nicht aktiv abgerufen werden. Doch diese Probleme liessen sich lösen, würden die Handyhersteller die SPV-Lehren ziehen: Kommunikation ist dann unkompliziert und besonders zweckdienlich, wenn Mobilfunk und Internet die gleichen Kanäle nutzen.

Diese Offenheit ist die Stärke des SPV; aber wie jedermann weiss, endet Microsofts Sinn für Offenheit dort, wo die Eigeninteressen beginnen. Die Synchronisation von Terminen, Kontakten und E-Mails funktioniert mit Outlook und nur mit Outlook. Auch Mac-Benutzer bleiben aussen vor. Das wird sich rächen; denn anders als auf dem PC-Desktop geht es im Handybereich wunderbar ohne Microsoft. Die Alternativen sind vielfältig und bewährt. Mit Symbian ist ein Handy-Betriebssystem daran, sich zum Standard für Smartphones zu mausern, und auch das Palm-OS hat auf dem Handy, namentlich den Treo-Modellen von Handspring, seine Daseinsberechtigung bewiesen. Beide Betriebssysteme haben ihren Ursprung auf Kleincomputern mit bescheidener Rechenleistung. Demgegenüber ist Microsofts Handy-Windows ein kleines Monster. Es verbraucht Unmengen an Akku-Energie und überfordert den Prozessor schon beim SMS-Schreiben. Und bei der Bedienung hat Microsoft das Rad nicht neu erfunden.

Dieser Einstieg in den Handymarkt ist gründlich misslungen. Das SPV kommt nur für Microsoft-Enthusiasten in Frage, die auf dem Orange-Netz telefonieren und sich durch ein tolles Farbdisplay für den fürchterlich scherbelnden Billiglautsprecher entschädigen lassen. Am meisten verblüfft hat mich persönlich eines an diesem Gerät: Der Windows-Spiele-Klassiker vermag sein Suchtpotenzial auf dem Mobiltelefon zu entfalten: Es lebe Solitär!

 

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 25. November 2002

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Nr: 4228
Ausgabe: 02-1125
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