Arrogant!

Von Matthias Schüssler

Wie erwartet, hat die Internet Expo heuer weniger Besucher angelockt als in den beiden Vorjahren und schloss mit 28 200 Besuchern leicht besser als 1999. Gemessen am Rekordjahr 2001 ist ein Einbruch von mehr als dreissig Prozent ein Misserfolg, an dem es nichts zu deuteln gibt.

Sollte man meinen. Die abschliessende Pressemeldung der Messeleitung ist derart überschwänglich verfasst, dass man auf die Superlative nach einer wirklich erfolgreichen iEX gespannt sein darf. Ein echtes Ärgernis ist aber die auf Schritt und Tritt verwendete Formulierung der «Besucherqualität» – InfoWeek schreibt sogar von «weniger, dafür besseren Besuchern».

Diese Abqualifizierung ist, mit Verlaub, arrogant. Es mag angehen, dass sich ein aufgeklärtes und einflussreiches Fachpublikum wünscht, wer an einem Messestand Frontdienst schieben muss. Kids auf der Jagd nach Wettbewerben und Gratis-Goodies gehören ebenso wenig zum Wunschpublikum wie nicht entscheidungsberechtigte Flaneure, die der «Gwunder» an die iEX trieb. Möglicherweise profitieren diese Leute auch überhaupt nicht vom Messebesuch; es sei denn, sie sind zufrieden, Popsängerin Kisha, Botschaftergattin Shawne Fielding oder die Miss Schweiz von nahem gesehen zu haben.

Dennoch ist das Gerede von der Publikumsqualität – es bedeutet auch, dass es vor einem Jahr viele «schlechte Besucher» gab – nicht nur arrogant, sondern auch kurzsichtig. Gut möglich, dass der pickelige Jäger nach Gratissnacks und Dächlichäppli in ein paar Jahren zum Internetcrack reift; vielleicht, weil er an der iEX die Leute traf, die ihm diesen Floh ins Ohr setzten. Und selbst wenn nicht – das Internet ist so wichtig und allgegenwärtig, dass auch unbedarfte Nichtprofis das gute Recht haben, sich vor Ort bei der selbst ernannten Internetelite ins Bild zu setzen.

Die Leute in der Internetbranche haben ohne Zweifel bisweilen das Gefühl, sie hätten ein besseres Publikum verdient. Vermutlich träumen sie einen Traum von zahlungsbereiten und willfährigen Konsumenten, die jeden Hype kritiklos mitmachen. So ist es aber nicht. Virtuose Webuser wissen kompetent mit Informationen umzugehen und bilden sich gern eine eigene Meinung. Eine Messe wie die iEX böte der Branche eine ideale Gelegenheit, bei diesen ambitionierten Internetnutzern den Puls zu nehmen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und herauszufinden, welche Geschäftsidee den Realitätscheck besteht und welche nicht. Der Veranstalter jedoch feiert die Ausgrenzung der Anwender und ist stolz darauf, wenn die Insider unter sich bleiben.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 18. Februar 2002

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Thema: Monitor
Nr: 3970
Ausgabe: 02-218
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