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Zuletzt lacht Gutenberg

Von Matthias Schüssler

AOL Time Warner gab letzte Woche das Aus für die Abteilung iPublish bekannt. Diese Abteilung war im April 2000 eröffnet worden, bot 29 Leuten einen Arbeitsplatz und beschäftigte sich mit der Herausgabe von E-Books. Vor Monatsfrist hat Random House den gleichen Entscheid gefällt und AtRandom.com dichtgemacht. «Der Markt hat sich einfach nicht so entwickelt, wie wir gehofft hatten», begründete der Vorsitzende von Time Warner Trade Publishing, Larry Kirshbaum. Und auch das kühle Wirtschaftsklima und der 11. September seien schuld, dass die Kundschaft nicht auf die elektronischen Bücher fliege.

Wirklich? Ich halte mit der These dagegen, die E-Books hätten auch bei bester konjunktureller Lage und ungebrochen boomender New Economy eine Bauchlandung sondergleichen hingelegt. Selbst zukunftsfroh und mit den Taschen voller Geld springen die Konsumenten nicht auf jeden Zug auf. Nicht einmal, wenn ihnen Technikverliebtheit, Interneteuphorie oder Kaufsucht die Sinne vernebeln.

Solange es noch Wälder, Papierfabriken und Buchdruckereien gibt, sind E-Books etwas vom Überflüssigsten, was die Welt je gesehen hat. Die Geräte sind unhandlich, teuer und können kaputt- oder verloren gehen. Sie haben einen Akku, der selbstverständlich immer bei der spannendsten Stelle aufgeladen werden muss. Schliesslich sind die digitalen Werke kopiergeschützt, sodass man sie nicht einfach mit der Freundin, Grossmutter oder den Bücherwürmern des Lesezirkels austauschen kann.

Zu diesem unpraktischen Produkt gibt es eine handliche Alternative, die ohne Batterien auskommt, sich gefahrlos in der Badewanne benutzen lässt, kein reflektierendes und bei direkter Sonneneinstrahlung unleserliches Display benötigt: das Buch, erpropt seit 1450, dem Jahr von Johannes Gutenbergs Geniestreich.

Jetzt, da die Verlage reihenweise den Ausstieg aus dem E-Book-Experiment bekannt geben und Stephen King mitteilt, seine E-Geschichte «The Plant» habe «die Blätter eingerollt», erstaunt die Angst, welche die E-Books noch an der Frankfurter Buchmesse 2000 ausgelöst hatten: Schon 2020 sollten Papierbücher nur mehr eine Randerscheinung sein, prognostizierten «Analysten».

Bücher, so kompliziert wie ein Computer? Das kann es nicht sein! Computer, so bestechend einfach wie ein Buch? Ach, wie wäre das doch schön!

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 10. Dezember 2001

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Thema: Monitor
Nr: 3626
Ausgabe: 01-1210
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