Ausrotten!

Von Matthias Schüssler

Genug! Mit der Jagd auf Moorhühner muss Schluss sein! Ruft den WWF auf den Plan, stellt das Federvieh unter Artenschutz, entwaffnet die Moorhuhnjäger, und lasst in Heiden und Auen Ruhe einkehren!

Seit im Sommer 1999 die gefiederte Zielscheibe erstmals auf der Bildfläche erschien und durch Promotion auf Giga.de und bei Harald Schmidt zum Topshot der Geflügelszene avancierte, hat der Hype kein Ende. Man kann Moorhuhn auf dem Handy spielen, auf dem Palm, mit dem Gameboy oder unter Linux. Was als Werbespiel für Johnnie-Walker-Whisky begann, artete zur kollektiven Manie aus. Im Februar 2000 erklärten IT-Experten das Game zur Gefahr für die deutsche Wirtschaft. Mordlüsterne Angestellte vernachlässigten ihre Arbeit, und die massenhafte Versendung des «pädagogisch fragwürdigen» Spiels sei schuld an verstopften Mailservern. Gegenmassnahmen liessen nicht auf sich warten: Findige Softwareunternehmen gaben den Administratoren Tools wie den «GameSitter» in die Hand, welcher die Spieledatei gnadenlos von der Festplatte schiesst.

Die Hühnerhysterie vermochte das nicht zu stoppen; im Gegenteil, die Varianten sind Legion. Zur Weihnachtszeit knallt man Schneeflocken und rot-weiss gewandete Hennen ab, an Ostern geben Osterglucken das Flintenfutter ab. Und wenn dieser Tage kein Scherzkeks auf die grandiose Idee kommt, ein Talibanhuhn mit Mullahbart zum Abschuss freizugeben, soll mich ein tollwütiger Fuchs in den Allerwertesten beissen.

Diese Woche, vermutlich ab Mittwoch, wird man sich die dritte Folge von www.moorhuhn.de saugen können. Chip Online schwärmt von «jeder Menge Ideen» und «jeder Menge Gags». Wiewohl, das verraten die veröffentlichten Screenshots, die hochgradig unoriginelle Spielidee die alte bleibt. Dafür dient das Huhn jetzt der Rechteinhaberin, der Ravensburger AG, als Milchkuh: Bereits im Handel sind die Kaufversion (25 Mark) und das offizielle Lösungsbuch (20 Mark). Wer ballern will, muss sich melken lassen. Ganz zu schweigen von all den Moorhuhntassen, -plütschtieren und -schlüsselanhängern.

Ein Appell an alle Freunde des gepflegten Freewarespiels: Lasst das Huhn sterben, bevor es im Kommerzsumpf absäuft! Tut euren Sehnenscheiden etwas Gutes, und lasst den Klickfinger ruhen! Und, bitte, boykottiert die sinnlose Ballerei! Ein anderes, besseres Gratisgame wird nicht lange auf sich warten lassen.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 15. Oktober 2001

Rubrik und Tags:

Faksimile

Metadaten
Thema: Monitor
Nr: 3622
Ausgabe: 01-1015
Anzahl Subthemen: 0

Obsolete Datenfelder
Bilder: 0
Textlänge: 170
Ort:
Tabb: FALSCH