Deus ex Machina

Von Matthias Schüssler

Gott zu sein, bedarf es wenig – mit einem einigermassen schnellen Windows-PC und einem Exemplar des Spiels «Black & White» kann jeder in die Rolle eines omnipotenten Weltenschöpfers schlüpfen. Black & White (siehe auch Seite 57) verleiht dem Spieler eine Macht, die Sterblichen nicht zusteht: Ohne Bestrafung befürchten zu müssen, kann man in die Natur eingreifen, mittels Maus Tod und Zerstörung über ein kleines Dorf bringen und virtuelles Leben auslöschen. Steht einem der Sinn danach, lässt man Mensch und Tier an Felsen zerschellen oder ertränkt sie im Meer. Solche Demonstrationen göttlicher Macht können dem Spielverlauf durchaus dienlich sein. Man kann seine Untertanen aber auch einzig deshalb durch die Lüfte wirbeln, weil sie dabei so lustig schreien.

Bin ich, fragt man sich nach zwei, drei eines Gottes nicht würdigen Aktionen, integer genug für Black & White? Oder besteht die Gefahr, dass ich nach einer durchspielten Nacht ungute Allmachtsfantasien entwickle? «Entdecke dein wahres Ich» ist der Slogan, mit dem die Herstellerfirma Lionhead Studios das Spiel bewirbt, und der ist für einen Werberspruch erstaunlich zutreffend. Bald protestiert das wahre Ich gegen nutzlose Gewalt. Die Figuren, welche putzig den Bildschirm bevölkern, sind so lebensecht animiert und lassen sich per Zoomfunktion von ganz nah betrachten, dass man sie schnell in sein Herz schliesst. Nur ein Mensch mit schwarzer Seele mag die Kleinen quälen. Gewalt ist kein notwendiges Mittel wie in Brutalo-Games à la Quake oder Soldier of Fortune. Das Ziel von Black & White, der Aufbau seiner Welt, fördert die konstruktiven Kräfte.

Das «Gottes-Moment» wirkt in Black & White im Verborgenen. Die Welt dieses Spiels, in ihrer Überblickbarkeit und künstlerischen Schönheit, kann einem gehörig den Alltag vergällen. Black & White ist ein Abenteuer, gemacht für Eskapisten: Realitätsflüchtlinge, die sich gern auf Traumwelten einlassen und sich lieber mit Hingabe um ihre kleine Welt im Computer kümmern, als sich an der Wirklichkeit abzuplagen. Eine Traumwelt, in der nicht nur ein eigenes Volk, sondern auch ein babyhaftes Märchenwesen Aufmerksamkeit benötigt und dafür Respekt und Anerkennung zollt. Die echte Welt – ohne Gottesstatus – gewinnt ihren Reiz zurück, wenn Black & White an die Grenzen seiner Programmierung stösst und in Eden Routine einkehrt.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 23. April 2001

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Thema: Monitor
Nr: 3616
Ausgabe: 01-423
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