Namo WebEditor 4

Viel Webeditor für wenig Geld

Nüchtern, funktionell und überaus preiswert präsentiert sich ein Web-Editor aus Fernost, der Dreamweaver und GoLive ein hartes Rennen liefert – und FrontPage abhängt.

Was hat ein Stück Software zum Bearbeiten von Internetseiten mit einem Auto zu tun? Nichts, werden Sie sagen – man braucht kein Auto, um über die Datenautobahn zu düsen, und damit haben Sie glücklicherweise Recht!

Um die speziellen Eigenschaften des Namo WebEditor 4.0 herauszuarbeiten, ist ein Vergleich mit den die Strassen verstopfenden, Erdölreserven verpuffenden Blechmonstern jedoch trotzdem zweckdienlich. Das Webseiten-Bearbeitungsprogramm aus Südkorea verfügt nämlich über ganz ähnliche Eigenschaften, wie man sie den Autos aus den asiatischen Tigerstaaten zuschreibt: Funktionell, gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, aber auch hässliches Äusseres und Verwechselbarkeit sind die Attribute, welche der Autoexperte der «Schweizer Familie» zu einem koreanischen Auto (Daewoo Nubira II) nennt. Merkmale, die einem auch zum koreanischen WebEditor einfallen könnten. Das Stichwort «gutes Preis-­Leistungs­-Verhältnis» passt besonders gut, denn während für einen «Amerikaner» teures Geld bezahlt werden muss, ist die «Reisschüssel» bei Trade-Up schon für 129 Franken, als Update für 79 Franken erhältlich.
Der Namo WebEditor kommt in der Version 4, die seit kurzem auch in Deutsch verfügbar ist, mit einem fetten Paket an Extras: Nebst der Hauptanwendung richtet das Installationsprogramm auch einen GIF-Animator und das Progrämmchen Capture zum Einfangen von Screen­shots ein. In der Schachtel steckt neben der Programm-CD auch ein Benutzerhandbuch mit 320 Seiten und einem durchaus vernünftigen und verständlichen Aufbau (was für Produkte aus Fernost nicht unbedingt selbstverständlich ist, wie jeder weiss, der schon einmal einen koreanischen Billig-Radiowecker in Betrieb nehmen wollte). Sehr gut gefällt uns auch die Online-Hilfe: Sie gibt nicht nur zu der Benützung des Programms selbst Auskunft, sondern hat auch nützliche Zusatzinformationen technischer Natur, zu der HTML-Sprache und zum Gestalten von Webseiten auf Lager. Dass ein so preiswertes Produkt solchen Dingen Beachtung schenkt, ist ungewohnt und verdienstvoll.

Komplette Ausstattung

Der Webeditor selbst bietet einige Zusatzfunktionen, die man bei der Konkurrenz vergeblich sucht: Da ist beispielsweise die Möglichkeit, Sites aus dem Web zu importieren. Dabei lädt Namo selbsttätig alle zu einer Site gehörenden HTML-Seiten herunter, ebenso die verknüpften Bilder.

Brav, aber funktionell

Nach dem Start präsentiert sich Namo WebEditor als schlichtes Fenster auf dem Bildschirm. Im Vergleich zu der Oberfläche von GoLive sieht Namo sehr brav aus. Es gibt nicht diese unzähligen Paletten mit noch viel unzähligeren Objekt-Ikönchen wie beim Adobe-Programm, sondern eine aus Winword oder anderen Office-Programmen vertraute Symbolleiste. Den Web-Profi dürfte das langweilen, dem Einsteiger hingegen den ersten Kontakt erleichtern. Auch auf kleinen Bildschirmen wirkt sich dieses Konzept positiv aus; die Arbeitsfläche wirkt übersichtlich. Auch die Bedienungs­führung ist sehr von Word (oder auch FrontPage) inspiriert. Die Symbole der Befehlsleiste sind vertraut und viele Funktionen arbeiten ähnlich wie in Microsofts Textprogramm, so zum Beispiel das Einfügen von Tabellen. Genau wie bei Word kann über ein Symbol eine Tabelle mit der gewünschten Zeilen- und Spaltenanzahl erzeugt werden. Es steht auch ein Zeichenwerkzeug bereit, mit dem eine Tabelle per Stift resp. Radiergummi bearbeitet werden kann, um Zellen zu teilen oder zusammenzuführen. Das ist sehr viel intuitiver als wenn man wie bei GoLive die Row- resp. Colspan-Attribute selbst vergeben muss.

Starke Tabellenfunktionen

Gerade bei den Tabellenfunktionen lässt Namo seine Konkurrenten GoLive und Dreamweaver im Regen stehen: Namo kann Tabellenfelder nicht nur sortieren, sondern bietet auch die Möglichkeit, zwei Tabellen zu kombinieren oder eine Tabelle zu zerlegen. Die Funktionen «Text in Tabelle umwandeln» und «Tabelle in Text umwandeln» sucht man bei Macromedia und Adobe vergeblich – dabei sind sie überaus nützlich. Namo kann weiterhin mit wenigen Mausklicks dazu gebracht werden, die Zahlen einer Tabelle in ein (editierbares) Diagramm umzuwandeln.

Ein fleissiger Textverarbeiter hat dank diesen vielen Analogien zu Word den Dreh schnell raus. Zeit sparend wirkt sich für Office-Nutzer aus, dass Namo Winword-Dokumente importieren kann – etwas, das GoLive auch in der Version 5.0 nicht beherrscht.

Bei Namo wird doppelgeklickt

Wer Office nicht zu seinen Lieblingsprogrammen zählt und GoLive gut kennt, wird über die Anlehnung an Winword nicht so begeistert sein, sondern ein Werkzeug wie den Inspektor vermissen. Die Attribute der Bilder, Tabellen oder Hyperlinks werden nicht in einer stets sichtbaren Palette angezeigt, sondern können nach einem Doppelklick auf das Element in einem Eigenschaften-Fenster editiert werden. Für einen Poweruser ist das etwas umständlicher als Adobes Ansatz.

Der Hersteller Namo Interactive Inc. hat sich aber nicht nur von Microsoft inspirieren lassen: Über eine Reiterstruktur am unteren Ende des Dokumentenfensters kann man wie bei GoLive zwischen der WYSIWYG-, der HTML-Code- und der Vorschau-Ansicht umschalten. Sehr praktisch ist, dass auch die einzelnen geöffneten Dokumente als Reiter ins Dokumentenfenster eingerückt werden; auf diese Weise fällt das Umschalten zwischen einzelnen Seiten leicht.

HTML im Griff

Die Steuerungsmöglichkeiten über die Eigenschaftsdialoge sind vielfältiger, als man angesichts des unscheinbaren Äusseren des Programms erwarten würde. Gut gefällt uns beispielsweise, dass man in den «Dokument-Eigenschaften» nicht nur Titel, Seiten-Codierung, Hintergrundbild, Link-Farben und viele weitere Standard-Seitenattribute definieren kann, sondern auch Besonderheiten wie das «Refresh»-Tag zur Weiterleitung auf eine andere Seite oder das «Expires»-Tag. Mit Letzterem kann gesteuert werden, ob der Browser eine Seite aus dem Cache laden darf oder frisch aus dem Internet abrufen muss.

Viel zu bieten hat Namo auch im Bereich Datenbanken: Das Programm unterstützt nicht nur ASP (Active Server Pages), sondern auch PHP. Für den Import von Daten aus einer Datenbank ist ein Wizard zuständig. In unserem Test haben wir die Datenbankfunktion zwar nicht auf Herz und Nieren getestet – der Assistent arbeitet aber viel versprechend und wer auf seinen Seiten häufig mit Datenbankabfragen arbeitet, sollte anhand der von www.namo.com herunterladbaren Dreissig-Tage-Demoversion überprüfen, ob Namo ihm bei dieser Arbeit helfen kann.

Smarte Vektorknöpfe

Wie die nicht vollständige Liste der Funktionen im Kasten erahnen lässt, ist Namo ein sehr umfangreiches Web-Werkzeug. Es stecken eine Menge Ideen in dem Produkt. Diese sind innovativ, wenn auch nicht immer ausgereift. So gefällt die «Smart-Buttons»-Funktion gut. Mit ihr ist es möglich, grafische Navigationselemente zu erstellen, die bearbeitbar bleiben. Namo setzt dazu Vektorelemente ein, damit sich sowohl der Text wie auch die Hintergrundfarbe oder die Grösse des Objekts ändern lassen. Leider muss man sich mit den vorhandenen Smart Buttons begnügen, selbst kann man keine entwerfen. Praktisch wäre ein Import von eigenen EPS-Grafiken. Angesichts dieser Limitationen zeigt sich, dass die Entwickler von Namo als Zielpublikum weniger den Power-Anwender als viel mehr ambitionierte Amateure, Office-Anwender und vielleicht Wissenschaftler (das Programm enthält einen leistungsfähigen Formel­editor) im Auge hatten.

Andere Funktionen sind hingegen nicht wirklich gelungen implementiert. Zwar kann Namo Cascading-Style­sheets benützen, aber wie man das Programm dazu bringt, ist nicht transparent. Auch in GoLive ist beim Thema CSS erst einmal Studium der Hilfedatei angesagt, doch immerhin ist nach der Lektüre klar, wie man die Styles anwendet. Bei Namo ist das Resultat willkürlich – schade, denn für ernsthaftes Webdesign sind Stylesheets zentral. Im professionellen Umfeld wäre eine gelungene Unterstützung dieser Technologie allemal mehr wert als die zweihundert mitgelieferten Layoutvorlagen.

Empfehlenswert!

Wer häufigt Office-Dokumente online zu bringen hat, mit Tabellen arbeitet und weniger Web-Design als vielmehr Web-Publishing betreibt, findet im Namo WebEditor ein Programm, das jeden Franken seines Kaufpreises wert ist. Der WebEditor ist für Neueinstiger leichter zu erlernen als GoLive oder Macromedias DreamWeaver und auch eine echte Alternative zu Microsofts FrontPage. Wem hingegen das «Lebensgefühl» wichtig ist, das einer Software ebenso wie einem Automobil anhaftet, der wird mit Namo nicht warm werden – ein Daewoo gibt schliesslich eher eine Familienlimousine ab, als dass sich damit Frauen abschleppen liessen.

Bezugsquelle und weitere Infos:

Trade Up, 6030 Ebikon, Tel. 041 445 70 20,

www.tradeup.ch

Quelle: Publisher, Mittwoch, 21. Februar 2001

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Thema: Web
Nr: 3756
Ausgabe: 01-2
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