Neue Browsergeneration im Anmarsch

Nach der Freigabe von Testversionen erntet Netscape Lob, Microsoft hingegen harsche Kritik.

Von Matthias Schüssler

Bei Netscape bleibt kein Stein auf dem anderen: Wie eine kürzlich freigegebene Vorabversion zeigt, wird der Browser in einem frischen Screendesign daherkommen, das nur noch wenig Ähnlichkeit mit den Vorgängern hat. Die Programmoberfläche ist nicht das einzig Neue: Netscape 6 basiert auf dem Code von «Mozilla» und entsteht als Open-source-Projekt unter der weltweiten Mitarbeit freier Programmierer. Sprich: Für die Entwicklung ist nicht mehr eine abgeschottete Entwicklungsabteilung innerhalb eines Softwarekonzerns zuständig, sondern eine internationale Programmierergemeinschaft, an der grundsätzlich jeder teilnehmen kann.

Wie leistungsfähig das Konzept der frei zugänglichen Softwarequellen ist, lässt sich bei Netscape sehr schön erkennen: Aus einem schwerfälligen Softwarebrocken, wie ihn Netscape 4.7 darstellt, ist ein kompaktes und sehr schnelles Programm geworden, das in der Fachpresse viel Lob einheimst. Das Softwaremodul Gecko, welches für die Darstellung der Web-Seiten am Bildschirm verantwortlich ist, gilt als ausgesprochen ausgereift.

Ein herausstechendes Merkmal von Netscape 6 wird die Möglichkeit sein, das Aussehen über Skins zu steuern. Wie bei MP3-Playern kann man dem Browser eine «Haut» überziehen und so den Look des Programms bestimmen. Neu ist auch die Sidebar, die in Reitern Suchfunktionen und einen News-Ticker bereithält. In der Buddy-Liste ist ersichtlich, welche Bekannten gerade online und bereit für einen Chat sind.

Microsoft hingegen erhält für die Beta des Internet Explorer 5.5 nichts als Tadel: Das Web Standards Project (WaSP), eine Koalition engagierter Web-Entwickler, reagiert ablehnend auf Microsofts Entscheidung, nicht alle Empfehlungen des W3C-Zweckverbands zu unterstützen. «Microsoft verspottet den Ansatz «code once, read anywhere»», schreibt Simon St. Laurent für das WaSP.

«Schizophren und arrogant»

Die neue Version werde eine Menge an neuen Inkompatibilitäten zwischen den Browsern bewirken und die Entwicklung fürs Web erschweren. «Es ist arrogant, wieder eigene Standards durchdrücken zu wollen, nachdem Microsoft selbst bei den W3C-Vorschlägen mitgearbeitet hat», kritisiert St. Laurent. Und besonders schizophren sei dieses Verhalten, da Microsoft mit dem kürzlich freigegebenen Internet Explorer 5 für den Mac die Empfehlungen vorbildlich umsetze.

Immerhin ist der Umstieg auf den Internet Explorer 5.5 kein Muss: Das Update erweitert die Möglichkeiten für Web-Entwickler, ihre Seiten zu gestalten, und wird Inhalte schneller für den Bildschirm aufbereiten können. Neue Features hat Microsoft bis auf eine Druckvorschau nicht angekündigt.

Nische gefunden: Opera 4.0

Neben den beiden «Grossen» hat sich auch die norwegische Firma Opera Software A/S eine Nische im Reigen der Browser erstritten. Deren Tor zum Internet bewährt sich vor allem auf leistungsschwachen Computern. Der bescheidene Speicherverbrauch und der schonende Umgang mit der Festplatte hat den Norwegern 1999 mehr als eine Million Downloads beschert. Die Version 4.0 des Opera-Browsers, die ebenfalls in einer Beta vorliegt, unterstützt neue Web-Technologien und ist auch trendigen Web-Seiten gewachsen. Hinzugekommen ist neben der 128-bit-Verschlüsselung für sichere Datenverbindungen ein vollwertiger E-Mail-Client, der mehrere Accounts verwalten kann.

Netscape 6 (oben) besticht mit einem frischen Look, Opera 4 (unten) durch kompakte Programmierung. SCREENS TA

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 17. April 2000

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Thema: Bits & Chips
Nr: 441
Ausgabe: 00-417
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