«Daten sind frei»

«Verschlüsselung von DVD-Video geknackt!» lautete anfangs November eine Meldung, die – ich will’s gern zugeben – mich zum Schmunzeln brachte. Da hatte die mächtige Medienindustrie alle erdenklichen Mittel ergriffen, um die digitalen Filme so zu codieren, dass sie nur von der Scheibe abgespielt werden können, die der Filmfan gekauft und auch bezahlt hat. Jegliches Kopieren auf die Festplatte sollte unmöglich sein; sogar gegen das Überspielen auf analoges Videoband hatte man Vorkehrungen getroffen.

Klar, dass Hacker diese Herausforderung nicht ausschlagen würden! Zu gross ist die Versuchung, in dieser klassischen David-gegen-Goliath-Geschichte den Goliath bis auf die Knochen zu blamieren! Was auch in geradezu verblüffend kurzer Zeit gelungen ist. Trotz der geradezu biblischen Grössenunterschiede in diesem ungleichen Zweikampf hat ein gerade mal 15 Jahre altes Bürschchen den gutbezahlten EDV-Profis aus Hollywood die lange Nase gemacht. Jon Johansen ist norwegischer Gymnasiast und kommentierte in der Osloer Zeitung «Aftenposten» seine Tat wie folgt: «Ich hab wirklich nicht geglaubt, dass jemand in meinem Alter einfach den Kopierschutz bei DVD-Filmen ausser Kraft setzen kann. Das zeigt doch, wie schlecht er sein muss.»

Oder es zeigt, wie schlecht die Entschlüsselung implementiert wird – Johansen und seinen beiden anonymen Hacker-Kollegen ist ein Programmfehler im Softwareplayer «XingDVD» zu Hilfe gekommen. Jedenfalls ist inzwischen im Internet neben diversen Schlüsseln ein Programm namens «DeCSS» verfügbar, das Filme uncodiert auf die Festplatte speichert. Das Verschlüsselungsverfahren CSS («Content Scrambling System») hat ausgedient.

Schadenfreude macht sich natürlich in jenen Kreisen breit, die die Chance wittern, mit fremden Inhalten ohne grosse Anstrengung selbst die dicke Kohle zu machen. Aber auch wir ehrlichen Kunden, die wir die DVDs lieber für dreissig Franken im Geschäft kaufen, als uns vier GB gecrackte Filmdaten per E-Mail zuschicken zu lassen, können das Schmunzeln nicht unterdrücken. Restriktive Massnahmen – Verschlüsselung, Kopierschutz, Ländercodes – haben einfach keine Zukunft. Schon die Plattenindustrie musste die Erfahrung machen, dass sich ein mobiles Musikformat wie MP3 nicht aus der Welt schaffen lässt. Die Bosse der «major companies» mögen das bedauern; gestandene Musiker, Newcomer-Bands und Karaoke-geschulte Heiminterpreten gehen längst sehr kreativ mit dieser Tatsache um: Das Internet ist die grösste und bestbestückte Jukebox der Welt. Ich für mich freue mich auf den Moment, wo das auch bei den Filmen so ist – und bin gespannt auf die erste Alternativ-Version von James Bond und «The world is not enough», die ein anderer kreativer 15-Jähriger an seinem iMac so umgeschnitten hat, dass der Superagent für einmal in abgesägten Hosen dasteht.

Matthias Schüssler

Quelle: M+K Computer-Markt, Montag, 29. November 1999

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Thema: Bücher
Nr: 331
Ausgabe: 99-12
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