Photoshop 5.5 unter der Lupe

Siamesische Zwillinge

Auch wenn Adobe in den letzten Monaten anscheinend alle Entwicklungsund Marketingkapazitäten auf das Neuprodukt In-Design konzentriert hat, blieb doch offensichtlich Zeit, um dem Veteranen Photoshop ebenfalls ein Update zu gönnen. Mit Version 5.5 soll vor allem die leidige Trennung zwischen Druck- und Webproduktion, zwischen Photoshop und dem Schwesterprodukt ImageReady, aufgehoben werden. Unser Autor hat sich das neu zusammengeschweisste Duo angesehen und festgestellt, dass den Entwicklern anscheinend doch nicht genügend Zeit für eine richtige Integration zur Verfügung stand.

Matthias Schüssler

Markterhebungen zeigen, dass immer mehr Photoshop-Anwender nicht mehr nur klassisch für den Druckbereich arbeiten, sondern auch Bilder fürs Web aufbereiten. Dieser Konstellation hat Adobe jedoch bislang keine Rechnung getragen: Photoshop ist für den Druckbereich ausgelegt, ImageReady fürs Web. Das Arbeiten mit zwei Programmen für ganz ähnliche Arbeitsschritte ist allerdings recht mühsam und umständlich – und der Photoshop-Profi will nicht so recht einsehen, weshalb die Web-Funktionen nicht gleich in den «Shop» eingebaut sind. Auf der anderen Seite hat ImageReady schon seine Daseinsberechtigung: Arbeitet man nur fürs Web, ist Photoshop über-dimensioniert und zu teuer.

Automatisches Hin und Her

Adobe hat sich mit Photoshop 5.5 nun zu einer höchst pragmatischen Lösung entschlossen: Photoshop und ImageReady werden über einen Knopf in der Funktionspalette miteinander verbunden, so dass das jeweils andere Programm quasi als «Werkzeug» zur Verfügung steht. Konkret bleiben einem dadurch viele «Öffnen»- und «Speichern»-Aktionen erspart. Möchte man ein Bild, das man eben in Pho-toshop bearbeitet hat, nun mit Hilfe von ImageReady in Segmente zerlegen und als HTML-Tabelle exportieren, musste man bislang erst speichern, ImageReady starten, in diesem Programm dann die eben bearbeitete Datei öffnen, um dann endlich den gewünschten Exportvorgang zu initiieren. Die leidigen Zwischenschritte erledigen die zwei Programme jetzt automatisch und ohne Zutun des Anwenders.

Fehlender Liebreiz

Diese Lösung mag praktisch sein, besonders anmutig ist sie nicht. Von einer «nahtlosen» Integration der Web-Funktionen kann keine Rede sein. Man macht nach wie vor praktisch das Gleiche, aber mit zwei verschiedenen Programmen – wobei sich das Hin und Her zwischen den beiden Anwendungen aufs flüssige Arbeiten durchaus hinderlich auswirkt, besonders gut verstehen sich die beiden Geschwister nämlich nicht. Ein Austausch über das aktive Werkzeug, die selektierte Vorder- und Hintergrundfarbe oder die Auswahlmarkierung findet nicht statt, geschweige denn, dass man eine Aktion aufzeichnen könnte, die applikationsübergreifend funktionieren würde. Im Gegenteil: Versucht man dies, gelingt nachher der Sprung von ImageReady zurück nach Photoshop nicht mehr, sondern endet in einer Fehlermeldung. Vor allem aber ist die Verschwendung von Systemressourcen mehr als störend: Grafikanwendungen zeichnen sich diesbezüglich schliesslich nicht durch besondere Genügsamkeit aus – da ist es verdriesslich, die unzähligen Funktionen gleich doppelt im Arbeitsspeicher zu haben. Adobe begründet die gewählte Lösung damit, die Kunden hätten eine Integration der beiden Programme möglichst schnell haben wollen, da sei keine Zeit für ein nahtloses Zusammenfügen geblieben. Mag sein, aber der wirtschaftliche Aspekt wird auch nicht unerheblich gewesen sein.

Ein Mausklick, und der Photoshop-Farbwähler zeigt nur noch Farben an, die «web-sicher» sind.

Bilder in Scheiben

Neben der erwähnten Integration hat Photoshop aber auch neue Funktionen erhalten, fast alle Web-bezogen: Die Farbpaletten können auf «web-sicher» umgeschaltet werden, so dass nur noch Farben aus einem fürs Web optimierten Farbraum gewählt werden können. Mit ImageReady in der Version 2 – dabei handelt es sich nämlich um Photoshops «Kumpan» – kann der Web-Designer auch leicht ein Bild in verschiedene Segmente, sogenannte «Slices» oder «geteilte Grafiken», zerlegen. Tut man solches, kann man nachher den Bildsegmenten eigene Kompressionsraten, Rollover-Effekte zuweisen oder über deren Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit entscheiden. ImageReady erzeugt dafür auch den notwendigen HTML-Code, damit die einzelnen Bilddateien im Browser nahtlos aneinander gereiht erscheinen.

Apropos Rollover-Effekte: Auch diese erzeugt ImageReady inzwischen nicht gerade vollautomatisch, aber doch recht einfach, so dass sich leicht Knöpfe erzeugen lassen, die beim Mauskontakt vor Freude zu glühen beginnen oder sonstwie auf sich aufmerksam machen. Dem Export ins richtige Format, bei möglichst gelungenem Verhältnis von Dateigrösse zu Bildqualität, leistet ImageReady weiter Vorschub, indem einerseits ein Vierfach-Fenster für die Voransicht von diversen Export-Varianten beim Optimieren hilft. Vordefinierte Formatoptionen unterstützen vor allem weniger geübte Anwender; eine irritierenderweise «lossy» genannte Option hilft, durch Reduzierung der Farbzahl die Grösse von GIF-Bildern zu verringern.

Photoshop 5.5 bietet auch neue Funktionen zum Freistellen von Motiven.

Starke Freistellfunktionen

Obwohl die neue Version ganz im Zeichen des Webs steht, werden sich auch reinrassige Druckvorstüfler die «Updaten-oder-nicht?»-Frage stellen müssen: Perfiderweise hat Adobe nämlich noch tolle Freistellfunktionen eingebaut, die zumindest in ersten Tests auch bei komplexen Umrissen schöne Resultate ermöglichen. Ein Hintergrund-Radierer entfernt flächige Farben – und zwar so, dass die Struktur des Hintergrunds erhalten bleibt. Die «Extract»-Funktion hilft beim Freistellen, indem man erst grob den Konturen des freizustellenden Objekts nachfahren kann, dann die beizubehaltenden Flächen bestimmt und schliesslich das Programm die Arbeit machen lässt – praktisch und ein Grund, das Update in Erwägung zu ziehen.

Kurzinfo Photoshop 5.5

Kategorie: Bildverarbeitungsprogramm
Hersteller: Adobe (www.adobe.de)
Vertrieb: Fachhandel
Preis ca. 1.850 DM (Update von Photoshop 5.0 und ImageReady 1.0: 369 DM, von früheren Photoshop-Versionen: 575 DM)

Quelle: PrePress, Freitag, 1. Oktober 1999

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Metadaten
Thema: Adobe InDesign
Nr: 362
Ausgabe: 99-10
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