Jagd auf Corel-User

Der Windows-Grafikmarkt ist, so belegen es Zahlen für 1995, fest in Corels Hand: 76 Prozent des Umsatzes im Grafiksegment machte Corel mit seinem Grafikpaket. Auf Platz zwei kam vor zwei Jahren Micrografx› Designer; dieses Programm erreichte, schon ziemlich abgeschlagen, einen Umsatz-Anteil von 10 Prozent. Illustrator mit 5 Prozent und Freehand mit 4 Prozent rangierten nur unter ferner liefen (zum Vergleich: Im Mac-Markt hielt Illustrator 60 %, FreeHand 40 % Anteil). Angesichts dieser Zahlen ist es nicht erstaunlich, dass Adobe beabsichtigt, Corel mit der neuen Illustrator-Version das Revier streitig zu machen. Die professionellen Publisher, die unter Windows Corel-Produkte einsetzten, sollen, das ist die erklärte Absicht, auf Illustrator umsatteln.

Corel-Importfilter: Nicht über alle Zweifel erhaben

Gelingen kann das jedoch nur, wenn Corel-Anwender ihre Grafiken dank cleverem Importfilter weiter verwenden können. Möglichst jedes Grafikattribut muss konvertiert werden – angesichts der Feature-Flut in Corel wahrlich keine leichte Aufgabe. Wir haben den Importfilter für CorelDraw-Dateien auf Herz und Nieren getestet (allerdings erst mit einer Betaversion des Illustrators) und das Resultat war eher ernüchternd:

  • Corel-Cliparts im CMX-Format: Der Import gelingt problemlos. Der allergrösste Teil der Corel-Cliparts sollte mit Illustrator verwendbar sein.
  • Linien-Attribute werden nur sehr rudimentär übernommen. Kalligrafische Effekte, durchbrochene Linien, Linienenden gehen meist vollständig verloren. Auch die Linienfarbe kann u.U. geändert werden.
  • PowerLinien werden richtig interpretiert aber in einzelne Segmente zerlegt.
  • Kombinierte Objekte (erzeugt durch Anordnen – Kombinieren) bereiten oft Probleme.
  • Füllfarben-Definitionen wurden in den von uns getesteten Fällen richtig übernommen.
  • Texturen werden importiert.
  • Verläufe und Überblendungen bieten keine Import-Probleme.
  • PowerClips werden tadellos importiert.
  • Vollfarbige Bitmap-Füllmuster erzeugten beim Import einen «out of memory»-Fehler. Dies kann jedoch in der Final-Version behoben sein.
  • Extrudierte Objekte werden korrekt übernommen.
  • Hüllen-Objekte sind in Ordnung.
  • Linsen-Effekte. Diese werden nur importiert, wenn in Corel bei den Optionen «fest» angegeben wurde.
  • Schriften. Bei der Schriftverwaltung ist Vorsicht angesagt. Das Font-Handling von Corel ist nicht über alle Zweifel erhaben.
  • Mengentext. Die Behandlung von Mengentext ist schlicht eine Katastrophe. Textattribute gehen verloren, Spaltensatz wird ignoriert, die textverdrängende Wirkung von Objekten wird nicht berücksichtigt. Verdikt: Unbrauchbar.
  • Gruppierungen gehen verloren.
  • Mehrseitige Corel-Dokumente. Illustrator kann nur einseitige Dokumente verarbeiten. Die Seiten müssen also in CorelDraw einzeln gespeichert werden.
  • Ebenen-Informationen gehen vollständig verloren. Alle Objekte werden auf eine Ebene reduziert.

Vektorgrafiken sind äusserst komplex und auch Corel brilliert nicht gerade, wenn es darum geht, das Konkurrenzformat AI einzulesen. Falls Sie bisher mehr aus Not denn aus Begeisterung mit Corel arbeiteten und mit dem Umstieg liebäugeln, raten wir, nicht gleich nach der Illustrator-Installation den Corel-Uninstaller aufzurufen – sonst werden Sie manche Ihrer CDR-Dateien womöglich nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ausserdem: Die Programme aus Kanada, so buggy sie auch sein mögen, haben doch die eine oder andere Funktion, die einfach cool ist – oder die man sogar brauchen kann.

Matthias Schüssler

Mit Hilfe des CMX-Filters für das Corel-Austauschformat können Corel-Cliparts problemlos importiert werden.

Quelle: Publisher, Sonntag, 1. Juni 1997

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Thema: Import von Corel-Dateien in Illustrator 7
Nr: 142
Ausgabe: 97-2
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