Apple: What’s NeXT?

Apple, der einstige Computerpionier, der uns so unverzichtbare Dinge wie die Maus geschenkt hat, verlor in den letzten Jahren gewaltig an Ansehen und Marktanteil. Mit einer Doppelstrategie in Sachen Betriebssystemen will die gebeutelte Firma Terrain gutmachen und wieder an die Spitze aufschliessen. Dabei droht allerdings die Gefahr, dass die Palette der Betriebssysteme aus Cupertino ziemlich unübersichtlich wird…

«Apple wird eine neue Runde der Innovation einläuten», diktierte Apple-Chef Gilbert F. Amelio anlässlich der MacWorld Expo den Journalisten selbstbewusst ins Notizbuch. Die Speerspitze des Fortschritts trägt den Codenamen «Rhapsody» und wird mit der Technologie geimpft werden, welche man kürzlich durch den 400-Millionen-Dollar-Kauf von Apple-Gründer Steven Jobbs Firma NeXT erworben hat.

Undurchsichtiges Zahlenspiel

Um die Wartezeit bis Ende 1998 (dann soll Rhaposdy erscheinen) zu überbrücken und nicht noch weiter in den Rückstand zu geraten, soll das angegraute MacOS noch mit mindestens drei Updates weitergeführt und mehr und mehr des kommenden Look-und-Feel aufgepeppt werden. System 7.6 (Codenamen «Harmony») ist bereits erhältlich, sein Nachfolger auf Juli 1997 angekündigt. Dieser wird nicht wie angekündigt die Nummer 7.7 tragen, Apple rundet gleich grosszügig auf 8 auf. Dieser Name sei «konsistent mit der Versionsnummer-Strategie», lässt Apple auf seiner Internet-Site verlauten, denn es gebe wichtige system-architektonische und benutzerorientierte Änderungen». Auch die für das mittlerweile verstorbene «Copland» geplanten optischen Verbesserungen werden mit MacOS 8 realisiert, namentlich die isometrischen Ordner. Die wichtigste Änderung an der Systemarchitektur ist indes ein Multitasking-fähiger, PowerPC-nativer Finder, welcher für Tempo sorgen soll. Vom optimierten Finder her rührt auch der Codename dieses Updates, «Tempo». Weiter wird das Betriebssystem-Update Cyberdog 2 enthalten, weiter einen Personal Web-Server und automatische Popup-Ordner, die der Datei-Organisation dienen.

Zusammenfassend: «Tempo», vormals MacOS 7.7, ist also MacOS 8, es ist aber nicht «Copland», welches ursprünglich die Nummer acht trug. Und wer jetzt den Überblick verloren hat, den tröstet Apple mit dem Hinweis, dass MacOS 8 dank des neuen Finders ja ganz so aussehe wie Copland. Auf MacOS 8 folgen dann «Allegro» und «Sonata», in einem der beiden Systeme soll dann OpenDoc in den Finder integriert werden.

Bruch mit der Vergangenheit

Während das MacOS Schrittchen für Schrittchen ausgebaut wird, verfolgt der zweite Ansatz, «Rhapsody», einen radikal anderen Kurs. Rhapsody bricht mit der Vergangenheit, lässt den betagten MacOS-Kernel links liegen und baut auf einen neuen, objektorientierten Kern auf.

Der Kern (oder engl. Kernel) setzt direkt auf der Hardware auf. Er stellt die grundlegenden Funktionen des Betriebssystems bereit, steuert also die Hardware, kontrolliert den Zugriff auf die Massenspeicher und sorgt für die Speicherverwaltung. Von der Architektur dieses Kerns hängt ab, auf welchen Prozessoren das Betriebssystem gefahren werden kann. Windows NT beispielsweise läuft sowohl auf Intel-, wie auch auf Alpha- oder PowerPC-Chips, weil der Kernel jeweils für diese Prozessoren vorliegt. Alle Hardware-Zugriffe werden dann ausschliesslich vom Kernel abgewickelt und für die vorhandene Hardware umgesetzt.

Rhapsody wird auf einem Mach-Kern (Unix) aufsetzten, soviel weiss man bereits. Doch wie dieser Kernel von Apple weiterentwickelt wird, steht noch in den Sternen. An und für sich ist NeXTStep – das NeXT-Betriebssystem, das Apple gekauft hat, und auf dessen Grundlage Rhapsody entwickelt werden soll – mit Programmierschnittstellen ausgestattet, die sowohl auf dem Mach-Kernel, als auch auf Sun Solaris oder Windows NT ansetzen können.

Microsoft-Konkurrenz?

Das hiesse also, dass Apple «Rhapsody» durchaus als hardware-übergreifende Lösung konzipieren könnte. Apple könnte aber auch seinem Motto der «sweet isolation» treu bleiben und den Kern so konstruieren, das er wie bisher nur auf Apple-Hardware läuft. Dieser Entscheid, so ist zu vermuten, wird weniger aus technologischen als vielmehr aus strategischen Überlegungen gefällt. Entscheidet sich Apple gegen den Alleingang, dann bedeutete das vermutlich grosse Schwierigkeiten für den Hardware-Produzenten Apple. Auf der anderen Seite dürfte manch ein Microsoft-müder Intel-Besitzer die Alternative schätzen lernen.

Der Bruch mit der Vergangenheit bedeutet weiterhin, dass die vorhandenen Mac-Programme nurmehr in einer Emulation (die Blue Box) ausgeführt werden. Dennoch sollte die Performance der Programme im Vergleich zum aktuellen System 7.6 eher besser werden, da dieses seinerseits durch die 68k-Emulation ausgebremst wird. Es wird allerdings auch Mac-Programme geben, die gar nicht mehr laufen: Alle die nämlich, welche direkt auf die Hardware zugreifen. Dieses darf ein auf einem Microkernel basierendes Betriebssystem nicht zulassen. Neben der Blue Box läuft die Yellow Box, in der die neuen Programme ausgeführt werden. Das Herz von Rhapsody dagegen ist die Yellow Box. Sie beherrscht präemtives Multitasking, bietet Schutzmechanismen vor marodierenden Programmen und Mehrprozessorunterstützung und in ihr werden die alle Mac-Programme laufen, welche von der innovativen OpenStep-Programmierschnittstelle (= API) Gebrauch machen.

Display-PostScript kommt!

Weiter hat Apple angekündigt, anstelle der eigenen QuickDraw GX-Technologie für die Bildschirmdarstellung in Rhapsody Display PostScript verwenden zu wollen. «In unserem wichtigsten Markt, der Publishing-Szene, sind die Leute äusserst glücklich über diesen Entscheid. Und es ist auch eine wirklich gute Sache!» erklärte der Vizepräsident der Apple Marketingabteilung, Jim Gable.

Dennoch fällt der Abschied von QuickDraw GX nicht leicht: «Die Textfunktionen im GX-Bereich sind weitentwickelt», unterstrich Franky Fu, Mac 2-D-Grafik-Spezialist. «Wir müssen uns bemühen, einige dieser Features nach Rhapsody zu migrieren!» Apple hat viel Erfahrung in der Lokalisierung des Betriebssystems; das MacOS ist inzwischen in rund 30 Sprachen – auch östlichen – erhältlich und unterstützt Zweibyte-Schriften, die bis 65 536 Zeichen enthalten können. Alle diese Entwicklungen gehen Display-PS bis jetzt ab. Auch das betriebssystemweite Farbverwaltungssystem ColorSync wird den Sprung auf den Rhapsody-Zug wohl schaffen.

Softwareschmieden interessiert

Die grossen Mac-Softwarehäuser (Claris, Adobe, Microsoft, Netscape) haben ihr Interesse bereits angekündigt und werden zukünftig vermutlich für die OpenStep-API entwickeln. In der Yellow Box soll auch die Java-Virtual Machine laufen, des weiteren wird hier der Quicktime-Media-Layer für digitales Video integriert.

Wenn der Zeitplan eingehalten werden kann, wird bereits im Laufe 1997 der Entwickler-Release von Rhapsody erhältlich sein. Dieser wird jedoch noch keine Blue Box enthalten. «Ein wenig» Unterstützung für die Mac-Programme gibt’s dann Anfangs 1998 mit dem «Premier-Release», und im Laufe 1998 wird dann die endgültige «Rhapsody»-Version erhältlich sein.

Das Spiel mit den «Boxes» – nicht so einfach wie Lego

Apple hat sich viel vorgenommen. Keine Unmöglichkeit; dass die Koexistenz zweier Programm-Generationen innerhalb desselben Betriebssystems möglich ist, wurde bereits bewiesen. In Microsofts Windows-NT laufen DOS- und 16bit-Windows-Programme in virtuellen Maschinen, ebenso in IBMs OS/2. Doch in Amerika gibt es skeptische Stimmen, die an Apples Fähigkeit zweifeln, ein solches Mammutprojekt glücklich über die Runden zu bringen. Die Kombination von blauen und gelben Klötzchen sei nicht so einfach wie das Zusammenstecken von Legos, heisst es. Don Crabb, ein amerikanischer Journalist, schreibt, es werde noch etliche Millionen Programmcode, und viel Blut, Schweiss und Entwicklertränen brauchen, bis diese «Boxes», die in den «Rhapsody»-Schemata so einleuchtend einfach aussähen, dann wirklich zusammenpassten. Wir werden sehen.

Matthias Schüssler

Open Step

Steven Jobs gehörte zu den Apple-Gründern. Nach seinem Abgang bei Apple anfang der Neunziger entwickelte er auf Unix-Basis das revolutionäre Betriebssystem NeXTStep, das auf schwarzen, würfelförmigen Maschinen lief. Dafür erntete er zwar viel Lob, verkaufen konnte er seine Geräte jedoch nicht. Als herausragendes Feature beherrscht NeXTStep Display-PostScript, kann also EPS-Grafiken direkt am Bildschirm darstellen. Somit ist NeXTStep das einzige Betriebssystem, das für PostScript das Prädikat Wysiwyg reklamieren kann.

Wie auch der andere Apple-Vater Steve Wozniak, kehrte der verlorene Sohn nun zum Obst zurück und Jobbs brachte dabei auch sein ganzes Entwicklerteam mit, welches nun für das Gelingen von Rhapsody garantieren soll.

Letzte News von der Betriebssystem-Front

OpenDoc. OpenDoc wird in den künftigen Versionen des MacOS› enthalten sein, jedoch nicht in Rhapsodys Yellow Box übernommen werden.

Open Transport. Die Open Transport Netzwerk-Architektur wird nur in der Blue Box zur Verfügung stehen. Die Yellow Box wird auf OpenSteps Unix-basierter Schnittstelle aufbauen.

QuickDraw 3D. Apple teilt mit, dass die 3-D-Architektur Teil der QuickTime-Ebene bleiben wird und vom Umbau nicht betroffen sein wird. Auch HyperCard wird in den Quick-Time-Layer übernommen.

AppleScript. Die Skriptsprache wird weiterentwickelt. Ausserdem überlegt Apple, wie die Skripting-Fähigkeit in die Yellow Box integriert werden kann. Ob das allerdings AppleSkript sein wird, steht noch nicht fest.

Game Sprockets. Die Spiele API steht in der Yellow Box nicht zur Verfügung.

Quelle: Publisher, Samstag, 1. März 1997

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Thema: Apples geplantes Betriebssystem Rhapsody
Nr: 127
Ausgabe: 97-1
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Tabb: FALSCH