Rickenbach: Forstdienst und Naturschutzverein luden zum Waldumgang ein

Der Wald erfüllt viele Bedürfnisse

Die einen sehen ihn als Lebensraum für eine reiche Pflanzen- und Tierwelt, andere geniessen ihn als Naherholungsraum, und dritte sind am Holzertrag interessiert: Der Wald erfüllt viele Bedürfnisse. Der Naturschutzverein Rickenbach zeigte an einem Waldumgang, dass Waldnutzung und Naturschutz nicht unbedingt ein Widerspruch sein muss.

(msc) Etwa fünfzig Interessierte waren der Einladung des Naturschutzvereins Rickenbach und des Forstdienstes gefolgt und hatten sich letzten Mittwoch beim Treffpunkt im Oberholz eingefunden – bei schönstem Wetter, notabene. Das «Europäische Jahrs des Naturschutzes» war der Auslöser gewesen, sich einmal dem Gebiet der Schweiz zu widmen, das immerhin ein Drittel der Fläche der Schweiz ausmacht, und die Bedeutung des Waldes ins rechte Licht zu rücken. Der Grossteil der Bevölkerung nutze den Wald für seine eigenen Interessen, ohne sich bewusst zu sein, welche Funktion der Wald alle erfüllt, sagte Kreisforstmeister Hannes Eichenberger auf dem Rundgang. «Die Wanderer geniessen die Stille und die frische Luft, suchen das Abenteuer im Wald Mountainbiker und Naturschützer sehen ihn als Refugium für eine Vielfalt von Pflanzen und Tieren».

Vielfältige Funktionen

Im Forstgesetz sind drei Funktionen festgehalten, die der Wald langfristig erfüllen soll: Der Schutz vor Naturgefahren (Bannwald), die Wohlfahrt (der Wald als Lebensraum und Erholungsgebiet) und die Nutzfunktion (Holzproduktion). «Der naturnahe Waldbau hat eine forstliche Tradition», unterstrich Eichenberger. Dennoch haben sich natürlich die Meinungen bezüglich die «richtige» Waldbewirtschaftung im Lauf der Zeit geändert. Man sei insbesondere von Schematismen weggekommen; die Förster wollten heute die Vielfältigkeit des Waldes in jeder Hinsicht unterstützen, und achteten auf standortgerechte Baumarten. Angesichts 140 Jahre alter Föhren war den Besuchern schnell klar, dass Förster über viel Geduld verfügen müssen und sich Änderungen in der Bewirtschaftung nicht von einem Tag auf den anderen durchsetzen. Gemeindeförster Ueli Graf zeigte den Rundgang-Teilnehmern Stellen im Oberholz, wo nach dem Sturm 1986 Aufforstungen notwendig geworden waren. Nach der Methode der «Naturverjüngung» pflanzte er keine Bäume, sondern setzte auf die natürliche Vermehrung. «Wir müssen lediglich für gute Lichtverhältnisse sorgen», erklärte Graf. Gebe es zu wenig Licht, würden die Bäume sterben, bei zuviel Sonne wucherten die Brombeeren. Den Lichteinfall «regulieren wir mit Eingriffen im benachbarten Altholz» – es bleibt also nur «Wertholz» stehen, schlecht verwertbares Holz muss den Sonnenstrahlen weichen.

«Leben im Totholz»

Karin Schiegg ist Zoologin, arbeitet im Moment an ihrer Doktorarbeit zum Thema «Leben im Totholz», und erklärte, weshalb «der unter Schweizern übliche Ordnungsfimmel» im Wald verfehlt sei. «Da, wo’s lebt, ist Unordnung», meinte sie, das beste Beispiel sei ein unaufgeräumtes Kinderzimmer. Der Ordnugstrieb im Wald hat dazu geführt, dass Tiere, die von toten oder kranken Bäumen oder herumliegenden Ästen lebten, vom Aussterben bedroht seien. Singvögel fänden ihre Nahrung in Totholz, der Dachs ernähre sich von Larven, die er in scheinbar nutzlos herumliegenden Ästen finde – ganz zu schweigen von den unzähligen Insekten, die verfaulendes Holz brauchten, um zu leben. Spechte schlagen ihre Höhlen in Bäume, die durch Pilze geschwächt sind, und Fledermäuse, Siebenschläfer, Bienen und Hohltauben finden Unterkunft darin. «Etwa ein Drittel aller Waldbewohner leben im Totholz», sagte Schiegg. Die Angst vor Schädlingen, welche die Waldbesitzer neben dem Ordnungssinn zum Aufräumen bringt, sei nur zum Teil berechtigt, oft sind andere Faktoren an der Verbreitung eines Schädlings schuld – hätte man nicht die standortfremde Fichte in unseren Wäldern gepflanzt, hätte sich der Borkenkäfer nicht so grossflächig ausbreiten können. Trotzdem konstatierte die Zoologin hier einen Widerspruch zwischen Waldnutzung und Naturschutz. Der Waldbesitzer will gesundes Holz und duldet keine morschen Äste und dürren Bäume, auch in Naturverjüngungen müssen diese zugunsten des Lichteinfalls weichen.

Die Balance finden

Es gehe darum, die Balance zu finden: «In schlecht erschlossenen und unzugänglichen Gebieten kann man das Holz problemlos liegen lassen.» Langfristig kommen die Naturschutzinteressen allen zu gute, sagt die Zoologin, – denn am widerstandsfähigsten und gesündesten ist der vielfältige, natürliche Wald.

Quelle: Der Landbote, Samstag, 22. Juli 1995

Rubrik und Tags:

Metadaten
Thema: Waldumgang des Naturschutzvereins
Nr: 84
Ausgabe: 95-167
Anzahl Subthemen:

Obsolete Datenfelder
Bilder: 0
Textlänge: 255
Ort:
Tabb: FALSCH