Altikon: Erster Umweltschutztag lockt gut hundert Besucher an

Gelebter Naturschutz zum Anfassen

Eine ansehnliche Schar Velofahrer war letzten Sonntag im Schlattwald und im Altiker Thurvorland unterwegs. Hauptsächlich Familien mit Kindern, die sich vor Ort, an den fünf Posten der Fischer, Förster, Jäger, Landwirte und Vogelfreunde ansehen wollten, mit welchen Massnahmen diese die Natur schützen und die Artenvielfalt erhalten. Eine gute Gelegenheit, die Welt vor der Haustür mit neuen Augen zu sehen.

(msc) Naturschutz ist dann am wirksamsten, wenn er nicht nur mit dem Mundwerk, sondern in erster Linie tatkräftig betrieben wird. Viele Gemeindemitglieder tun letzteres – meist abseits der Aufmerksamkeit der Bevölkerung. Das «Europäische Jahr des Naturschutzes» auf die Idee gebracht, den «Altiker Naturschutztag» zu initiieren. An fünf Posten kamen die aktiven Naturschützer der Gemeinde zu Wort, unterwegs von Posten zu Posten waren die fünf Gruppen à 20 Leute dem Anlass entsprechend mit dem Drahtesel – und auch die kleinsten radelten unerschrocken mit.

Intakter Wald

Von seiten der Förster war es Peter Kauer, der über den Natur- und Artenschutz im Wald sprach. «Der Wald ist heute einigermassen intakt», sagte Kauer. Es gibt heute keine grossflächigen Kahlschläge mehr, es kommen keine grossen Maschinen mehr zum Einsatz; das Stichwort heisst «Naturnahe Bewirtschaftung». Die Bäume werden, solange nicht Sturmschäden eine gezielte Bepflanzung grosser Flächen fordern, nicht gesetzt, sondern es werden lediglich die Bedingungen geschaffen, dass sich die Bestände auf natürliche Art vermehren. Diese sogenannte «Naturverjüngung» braucht mit zehn Jahren eine dreimal so lange Betreuung als eine «Wiederansiedlung», dafür ist ein solches Waldstück dann sehr resistent gegen Beeinträchtigung durch Wetter, Unkraut und Schädlinge. Kramer zeigte die Gerätschaften des Försters und die wichtigsten Baumarten und ein anderes Problem, mit dem die Förster täglich zu tun haben, erfuhren die Besucher gleich auch am eigenen Leib: Schnacken, Bremsen und andere Blutsauger.

Jäger sind Naturschützer

«Auch Jäger sind Naturschützer» unterstrich Max Schweizer, der Vertreter der Weidmänner. Dass das Schiessen von Tieren etwas mit ihrem Schutz zu tun hat, leuchtet offensichtlich nicht allen ein. «Auf 100 Hektaren Wald verträgt es 30 Rehe» – gebe es mehr, steige die Gefahr von Krankheiten unter den Tiere. Auch die Füchse sind bei zu grosser Population bedroht. Dann werden die Tiere zu Wanderungen gezwungen, und damit verbreite sich die Tollwut äusserst schnell. Flur- und Waldschäden sind eine weitere Auswirkung von zu grossen Beständen einer Tierart. Die Rehe sind dafür berüchtigt, aber speziell Wildschweine könnten grosse Schäden anrichten. Neben dem Erhalten der Bestände ist das Schützen bedrohter Tierarten eine gesetzlich verankerte Aufgabe der Jäger. Der Hase, beispielsweise, gehört heute zu den bedrohten Tierarten; sie werden seit fünf Jahren nicht mehr gejagt.

3500 Fische ausgesetzt

Auch die Fischer haben neben dem Hantieren mit der Angelrute wichtige naturschützerische Aufgaben: Sie räumen die Thurufer zweimal im Jahr von Unrat, und nach Hochwassern «fischen» sie die im Thurvorland zurückbleibenden Tümpel «ab», und retten so die gestrandeten Fische vor dem Tod. Im 5,5 Kilometer langen Revier I/61 (es erstreckt sich vom Feldisteg bis zur Gütighauser Brücke) setzen die 34 Fischer ausserdem jährlich 1750 Bachforellen und ebenso viele Äschen aus. Weiter verlangt die kantonale Fischerei- und Jagdverwaltung, dass auch Fische, die «fischereilich nicht interessant, aber von ökologischem Interesse sind, aufgezogen und eingesetzt werden», wie Obmann Hansjörg Weidmann erklärt. In zwei Aquarien zeigten die Fischer einheimische Fischarten, darunter Aale, Barben, Bachforellen und Äschen. Der «Vogelschutzverein Altikon», gegründet 1955, hat heute 83 Mitglieder und kümmert sich um die Kontrolle und Reinigung der 84 Nistkästen auf dem Gemeindegebiet, unterhält ein Biotop und führt Beobachtungen durch. Der Präsident Werner Bachmann stellte die einheimischen Vögel vor – beispielsweise der, welcher am häufigsten vorkommt: der Buchfink mit 81 000 Brutpärchen. Oder den kleinsten Vogel in der Schweiz. Dies sei nicht, wie viele meinen, der Zaunkönig, sondern das Wintergoldhähnchen.

Welt vor der Haustür

Zu Milch und Brot aus eigener Herstellung stellten Ruedi Häusler und Sämi Herrmann ihren Bauernbetrieb vor und erklärten, was man sich unter dem Stichwort «integrierten Produktion» (IP) vorzustellen hat. Begonnen hat es mit dem Integrierten Pflanzenschutz. Die Absicht war, natürliche Regulationsmechanismen wieder zu berücksichtigen, Chemie nicht einfach in grossen Mengen präventiv einzusetzen, sondern nur dann, wenn der Schaden eines Schädlings grösser ist als die Kosten der Bekämpfung. Heute wird, im Gegensatz zu früher, diese Rücksichtnahme vom Bund finanziell abgegolten. Dafür müssen allerdings gewisse Bedingungen eingehalten werden, eine Fruchtfolge mit mindestens vier Kulturen muss eingehalten werden, und fünf Prozent der Nutzfläche muss für extensive Wiesennutzung freigehalten werden – als Lebensraum für «wirtschaftlich uninteressante» Pflanzen. In der Milchwirtschaft – sie macht bei Ruedi Häusler 60 Prozent von Ertrag aus – müssen die Kühe jährlich während mindestens 90 Tagen freien Auslauf haben; die Kälber werden ab der dritten Woche im Verband gehalten, damit sich die sozialen Verhaltensweisen einspielen können.

Die Teilnehmer am ersten «Altiker Umweltschutztag» konnten jedoch nicht nur etwas über den aktiven Naturschutz im eigenen Dorf erfahren, die meisten lernten auch die traditionellen Berufe Fischer, Förster, Jäger und Landwirt näher kennen. Ein neuer Blick auf die vermeintlich bekannte Welt vor der Haustür.

Quelle: Der Landbote, Dienstag, 4. Juli 1995

Rubrik und Tags:

Metadaten
Thema: Erster Umweltschutztag
Nr: 81
Ausgabe: 95-151
Anzahl Subthemen:

Obsolete Datenfelder
Bilder: 2
Textlänge: 338
Ort:
Tabb: FALSCH