Lee Clayton, Naked Child

Lee Clayton, so hat einmal ein Kritiker geschrieben, töne wie Bob Dylan, der nach Bob Dylan tönen wolle. Ich glaube jedenfalls, dass Lee Clayton nicht nach Bob Dylan oder sonstwas klingen will, sondern nur nach Lee Clayton. Und ein gewisser Bono, Sänger irgendeiner irischen Band soll mal über ihn gesagt haben, er sei der einzige Musiker, der ihn irgendwie beeinflusst habe. Aber lassen wir das. Sonderlich bekannt ist er nicht, weder in Amerika, dort, wo er an der Westcoast jahrelang mit Gitarre und seinen Songs durch die Clubs tingelte, noch hier in der Schweiz. Kein Wunder, denn einfach macht er’s einem nicht. Er singt von Schattenseiten des menschlichen Daseins, von starken Gefühlen, die Seele und Körper in die Zange nehmen, spielt Songs, durchdrungen von ohnmächtiger Hilflosigkeit gegenüber unbeherrschbaren Trieben, die zu ihm gehören, wie seine rauchige, von Whisky geprägte Stimme, aber unheimlich, bedrohlich, bestimmend werden und Verstand und Moral links liegen lassen. Lee singt von Männern, die, wenn sie Samstag abends in ihre teuren Autos steigen, nur von einem Gedanken getrieben werden: «Wer wird es sein, heute Nacht?» In «10’000 Years/Sexual Moon» schreit Lee auf: «l would climb the highest mountain or swim the deepest sea, just to quench the fire when it burns white hot inside of me. Consuming my senses, my sanity and my sight and there’s a sexual moon out tonight.»

Leisere, melancholische Tone schlägt Lee an, als er von seiner «Jaded virgin» singt, «I Love You» erinnert an die eigenen Liebeserklärungsversuche, schüchtern, ungeschickt, aber durch und durch ehrlich. Lee hat eine poetische, verschlungene Sprache, die viel nur andeutet, mystische Bilder, die Nahrung für die eigene Phantasie bieten. Der Sound ist kompakt, von akustischen Gitarren und verschiedensten anderen Saiteninstrumenten durchdrungen. In Clayton-Titel fällt der treibende Rhythmus auf. Und eine heulende E-Gitarre macht das hörbar, was unausgesprochen bleibt. «Naked Child» hinterlässt den Eindruck, einen Menschen kennengelernt zu haben, der hart mit dem Leben und mit sich selbst zu kämpfen hat. 1990 meint Lee auf seiner Mini-LP mit einer uralten Stimme banal «Tequila is addictive and they say the same of cocaine.» Und als einzigen Ausweg bietet sich an: «Preaching is not my thing, but now and then I let some show cause praying is the cheapest medicine that I know and it does a man good sometime to get down on this knees and say: Lord I’m scared won’t you help me please.»

Dass er das in den 11 Jahren, seit «A Little Cocaine» selbst erlitten hat es bleibt unausgesprochen, denn es ist gar nicht nötig, dass er’s sagt. Ein einsamer Kämpfer, der auch im eisigsten Wind im Innern einen heissen Lebenswillen spürt. Die Platte endet mit einem hoffnungsvollen Lichtblick: «If I can do it (so can you)». Niemals aufgeben.

Lee Clayton, Naked Child, 1979. Capital-Records.

Quelle: Toaster, Donnerstag, 20. Juni 1991

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Thema: Lieblingsplatte
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