Madagaskar: Entwicklungshilfe

Die Suche nach individuellen Lösungen – Volkshochschulkurs in Ossingen

sch. Dieser Tage fand im Schulhaus Orenberg in Ossingen der letzte Vortrag anlässlich des Volkshochschulkurses «Entwicklungshilfe, Wunschbild und Wirklichkeit» statt. Der Ingenieur-Agronom Heinrich Hablützel berichtete über Hilfsprojekte in Madagaskar. Dank vieler Dias entstand bei den Zuschauern eine konkrete Vorstellung und sicher auch Verständnis für die heutige Entwicklungshilfe.

Im ersten Vortrag vor zwei Wochen gab Heinrich Hablützel einen theoretischen Einblick in die Geschichte der Entwicklungshilfe, um dann am zweiten Abend über seine Laufbahn als langjähriger UNO-Mitarbeiter und über seine Erfahrungen in Saudi-Arabien zu berichten. Im dritten Referat ging es um Madagaskar, wo sich Heinrich Hablützel immerhin 13 Jahre aufgehalten hatte.

Vielfältiges Madagaskar

Madagaskar, die drittgrösste Insel der Welt, verfügt über vier sehr unterschiedliche Klimazonen. Währenddem an der Ostküste der Tropische Regenwald und damit feucht-warmes Klima vorherrscht, dominiert an der Südküste die trockenheisse Halbwüste. Das Wetter des Hochlandes im Landesinnern entspricht sogar fast dem unsrigen. Es ist also klar, dass es kein «Patentrezept» für die ehemalige französische Kolonie gab. Die Entwicklungshelfer sahen sich mit der Aufgabe konfrontiert, individuelle Lösungen zu finden. Die Hilfsprojekte, teilweise auch von der Schweiz finanziert, hatten das Ziel, durch eine Verbesserung des Maschinenparkes eine Erhöhung des Reisernteertrages – Reis ist die wichtigste Kulturpflanze der Insel – zu erzielen. Doch Reis lässt sich schwer maschinell anbauen und deshalb waren überhaupt keine technischen Geräte vorhanden.

Hilfe zur Selbsthilfe

Ganz im Sinne des Leitmotivs «Hilfe zur Selbsthilfe» entwickelten die Mitarbeiter des UNO-Werkes FAO (Organisation für Ernährung und Landwirtschaft) in enger Zusammenarbeit mit den Einheimischen spezifische Arbeitsgeräte, zum Beispiel Pflüge, Umpflanzgeräte oder Dreschmaschinen. So konnte wenigstens der Eigenbedarf an Reis gedeckt werden. In den eigenen Werkstätten wurden dann bis 500 der entsprechenden Geräte produziert, die billig an die Bauern verkauft wurden. Durch Felderzusammenlegungen wurden die Ackerflächen so vergrössert, dass sie auch mit den Ochsengespannen gut bewirtschaftet werden konnten, und Bewässerungsanlagen sorgten für das nötige Wasser, das in grossen Zisternen aus Kautschuk gesammelt wurde.

Allround-Talente

Durch Terrassierungen der Parzellen, Musterpflanzungen und die eigens entwickelten Geräte waren die Probleme aber noch lange nicht gelöst. Gegen Schädlinge und Unkraut half leider oft nur starke Chemie. Neue Kulturpflanzen sollten zu einer ausgewogenen Ernährung beitragen und einer einseitigen Abhängigkeit vorbeugen. In langwierigen Versuchen mussten die Entwicklungshelfer unter Heinrich Hablützels Leitung die richtige Pflanzensorte und die richtige Düngungsmenge ermitteln. Währenddem die Versuche mit Mais, Erdnüsschen, Sojabohnen oder Baumwolle durchaus erfolgreich waren, mussten sie bei Orangen und Sonnenblumen wieder aufgegeben werden. Weiter sollten Ernteverluste durch geeigneten Transport und Lagerung verringert werden. Für die Erdnüsschen bauten die UNO-Helfer spezielle Lagersilos. Neugepflanzte Baumreihen bildeten einen Schutz gegen den vor allem im Süden sehr aggressiven Wind.

Wunschbild bald Wirklichkeit?

Es ist deutlich geworden: Ein Entwicklungshelfer ist ein Allroundtalent. Er muss sinnvolle Lösungen für verschiedenste Probleme finden. Er sollte ein Mechaniker und Forscher sein, der auch auf dem Feld mit anpacken kann. Und natürlich braucht er – Sprachbarrieren hin oder her – ein feines Gespür für die Mentalität und die Bedürfnisse der Einheimischen. Entwicklungshelfer gehört zu den anspruchsvollsten, aber sicher auch zu den schönsten und interessantesten Berufen. Mit Geld allein lässt sich keine Entwicklungshilfe betreiben; das angestrebte Wunschbild sollte sein, durch individuelle, flexible Zusammenarbeit mit den Drittweltländern eine selbständige, autonome Staats- und Wirtschaftsform zu erreichen.

Quelle: Weinländer Zeitung, Samstag, 25. März 1989

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